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12.08.2021

Wer den ganzen Tag am Bildschirm sitzt, will abends in Papier blättern

Während der Pandemie sind die Werbeumsätze zwar weltweit markant gesunken. Doch Zahlen aus der Schweiz belegen: Die Werbung auf Papier – insbesondere Direct Marketing – wurde vom Rückgang nicht so stark betroffen. Im Gegenteil: Gedruckte Werbung feierte gar eine kleine Renaissance. Gründe dafür sind unter anderem die Bildschirmmüdigkeit der Werbekunden und die ramponierte Glaubwürdigkeit der sozialen Medien.

Um nicht weniger als 16,2 Prozent – von 4455 auf 3732 Millionen Schweizer Franken – gingen gemäss den unlängst veröffentlichten Zahlen der Stiftung Werbestatistik Schweiz die Netto-Werbeumsätze in der Schweiz im Corona-Jahr 2020 zurück. Eine Zahl fällt bei lauter Minuswerten jedoch auf: Der Rückgang bei der Direktwerbung ist mit 6,7 Prozent relativ moderat und deutlich tiefer als beispielsweise bei der Kinobranche (-70,6 Prozent), dem Radio (-26,7 Prozent), der Presse (-21,3 Prozent) oder dem Fernsehen (-12,5 Prozent). Mit anderen Worten: Relativ gesehen zu anderen Mediengattungen konnte die Direktwerbung während der Pandemie zulegen.

Physische Post als willkommene Abwechslung 
Untermauert werden diese Zahlen durch eine vom Marktforschungsinstitut intervista AG im Auftrag der Schweizerischen Post erstellte repräsentative Studie zur Werbewirkung in Zeiten von Corona. «Welche Werbekanäle wirken am stärksten im von Corona beeinflussten Leben?» wollten die Forscher wissen. Sie befragten dazu im Februar 2021 mehr als 1000 Personen in der Deutschschweiz und kamen zu einem interessanten Ergebnis. Corona verlieh der Digitalisierung – Stichworte Homeoffice und Online-Meetings – zwar einen grossen Schub. Gleichzeitig wuchs aber auch die damit verbundene Bildschirmmüdigkeit. Die physische Post wird deshalb als willkommene Abwechslung wahrgenommen. 

«Das liegt unter anderem daran», kommt die Studie zum Schluss, «dass das Zuhause, wo die physische Post konsumiert wird, zu einem noch zentraleren Bestandteil des Lebens geworden ist. Lockdown, Homeoffice und Social Distancing führten offenbar zu einem Effekt des Cocoonings: Die Leute haben es sich in den eigenen vier Wänden gemütlich gemacht.» Oder wie es Benno Frick, Geschäftsführer des Schweizer Agenturnetzwerks ASW, sagt: «Wer den ganzen Tag am Bildschirm sitzt, will abends in Papier blättern.»

Hoher Beachtungsgrad für adressierte Werbesendungen 
So überrascht es wenig, dass adressierte Werbesendungen als eines von sechs zentralen Ergebnissen der Post-Studie am stärksten beachtet werden. 48 Prozent der Befragten gaben an, dass sie adressierte Werbesendungen beachten. Das ist mit grossem Abstand der höchste Wert unter allen Medien. Am anderen Ende der Rangliste liegt die Werbung auf Suchmaschinen und Websites.

«Eine persönlich adressierte Werbesendung nimmt man in die Hand – etwa wenn sie vom Briefkasten in die Wohnung getragen wird», sagt Marianne Binggeli, Projektleiterin bei der intervista AG. «Dadurch ergeben sich deutlich mehr aktive Berührungspunkte als zum Beispiel bei Werbung per E-Mail-Newsletter, die mit einem Klicken oder Wischen verschwindet. Zudem sieht man beim Newsletter oftmals nur die Headline. Bei persönlich adressierten Werbesendungen hingegen sind meist ganze Angebote, Bilder und weitere Ausführungen sichtbar. Das generiert Aufmerksamkeit.»

Ein zweites wichtiges Ergebnis der Studie: 19 Prozent der Befragten sagten, dass sie es heute mehr schätzen, etwas auf Papier zu lesen, als vor der Pandemie. Parallel dazu ist insbesondere die junge Generation bildschirmmüde geworden. 53 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nimmt dieses Gefühl öfters wahr. Das ist signifikant höher als bei den übrigen Altersgruppen.

Marianne Binggeli (Projektleiterin intervista AG): «Die Menschen nehmen die persönlich adressierten Werbesendungen häufiger und aktiver wahr, wodurch diese eine grössere Wirkchance haben.»
 


Adressierte Werbesendungen führen am stärksten zum Kauf
Ein dritter Punkt der Post-Studie ist vor allem für die Werbetreibenden von zentraler Bedeutung: Persönlich adressierte Werbesendungen führen am stärksten zum Kauf. Bei der Kaufmotivation bekamen die Befragten sieben Werbekanäle zur Auswahl. Sie sollten eine Reihenfolge zur Werbewirkung erstellen – also dazu, wie stark sie durch diese Werbekanäle schon einmal zum Kauf von Produkten oder Dienstleistungen motiviert wurden. 57 Prozent gaben an, aufgrund von persönlich adressierten Werbesendungen bereits Käufe getätigt zu haben. Das ist bei der Umfrage der mit Abstand höchste Wert zur Wirkung auf die Kaufabsicht. An zweiter Stelle stehen – auch das ist ein ermutigendes Zeichen für die Druckindustrie – die Inserate in Zeitungen und Zeitschriften mit 32 Prozent.
 
«Die Menschen nehmen die persönlich adressierten Werbesendungen häufiger und aktiver wahr, wodurch diese eine grössere Wirkchance haben», folgert Marianne Binggeli. «Zudem bieten persönlich adressierte Werbesendungen sehr gute Möglichkeiten, direkt zum Kauf zu animieren – zum Beispiel durch personalisierte Angebote oder Gutscheine.»
 
Der Kampf um die potenziellen Kunden wird noch wichtiger
Das ist deshalb umso bedeutungsvoller, als in Zeiten von Corona die Werbewirkung für viele Unternehmen zu einem noch wichtigeren Thema geworden ist. Denn viele Unternehmen ergreifen Sparmassnahmen – nicht zuletzt beim Budget fürs Marketing. Die Effektivität der Werbung im Kampf um die potenziellen Kunden wird damit noch wichtiger. Das Marketing muss einen hohen Return on Investment erzielen.
 
Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Zahlen aus der Schweiz von 2019 – also dem Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Bereits da gingen die Werbeumsätze der elektronische Medien nach zwei Jahren mit leicht steigender Tendenz (2017 +0,8 / 2018 +0,3 Prozent) wieder um 3,0 Prozent zurück. Derweil stiegen die Werbeumsätze der übrigen Medien – zu denen auch adressierte und unadressierte Direktwerbung gehört – nach drei Jahren mit rückläufiger Tendenz erstmals wieder leicht (+0,8 Prozent).
 
Social Media verlor extrem an Glaubwürdigkeit
Dass in den letzten 16 Monaten persönlich adressierte Direct Mailings einen Aufschwung erlebt haben, stellt auch Benno Frick fest. Diesen führt er jedoch nicht nur auf die unbestrittenen Vorteile persönlich adressierter Werbung, sondern auch auf die Schwächen der (elektronischen) Konkurrenz zurück. «Social Media verlor während der Pandemie extrem an Glaubwürdigkeit. So führten beispielsweise die in den sozialen Medien verbreiteten Verschwörungstheorien rund um das Thema Corona zu einem breiten Misstrauen.»
 
Untermauert wird Benno Fricks Beurteilung bezüglich Online-Werbung durch eine im letzten Jahr eingeholte Experteneinschätzung zum Medienvertrauen während der Corona-Krise in der Schweiz. Für diese wurden über 40 Fachleute führender Medienunternehmen sowie Vertreter aus Werbung, Medienjournalismus, Kommunikationswissenschaft und Corporate Communications befragt.
 
Danach finden 44 Prozent, dass die Glaubwürdigkeit von Social Media eher abnimmt, 7 Prozent dass sie stark abnimmt. Bei der national sendenden Schweizerischen Radio- und Fernsehgenossenschaft (SRG) – TV/Radio/Online – sowie bei den bezahlten Zeitungen (gedruckt und online) beträgt der Anteil von «nimmt eher ab» hingegen nur 4 Prozent, bei «nimmt stark ab» gar 0 Prozent. Im Gegensatz dazu beträgt der Anteil «nimmt stark zu» bei der SRG 52 Prozent und bei den Bezahlzeitungen 22 Prozent. Die Werte für «nimmt eher zu» liegen bei 37 bzw. 63 Prozent. Bei Social Media finden hingegen nur 7 Prozent, dass die Glaubwürdigkeit eher zunimmt – dass sie stark zunehme, glaubt gar niemand.
 
Fazit des die Experteneinschätzung durchführenden Statista Research Departments: «Während der Corona-Krise gewinnen SRG-Medien nach Einschätzung von Experten der Medienbranche stark oder eher an Vertrauen. Bezahlzeitungen gewinnen laut Mehrheit der befragten Expertinnen und Experten auch eher an Vertrauen. Für Social Media wird eher eine Vertrauensverlust prognostiziert.»

Benno Frick (Geschäftsführer Agenturnetzwerk ASW): «Social Media verlor während der Pandemie extrem an Glaubwürdigkeit.»
 

Ältere Zielgruppen wollen «Verlässlichkeit»
Während ältere Menschen Nachrichten aus den öffentlich-rechtlichen TV- und Radio-Stationen und abonnierten Tageszeitungen vorziehen, jüngere Zielgruppen hingegen tendenziell eher auf Social-Media-Kanälen unterwegs sind, zieht Benno Frick folgenden Schluss: «Bei den Jüngeren war der Verlust an Glaubwürdigkeit sehr viel grösser als bei älteren Semestern.»
 
Dass die ältere Generation grundsätzlich empfänglicher für Printwerbung ist, lässt sich jedoch laut Benno Frick «so nicht festmachen. Auch ältere Zielgruppen buchen über Airbnb. Aber sie wollen ‘Verlässlichkeit’. Dieses Bedürfnis leitet sich aus der Lebenserfahrung ab. Sie wollen sicher sein, dass sie bekommen, was sie brauchen und nicht, was auf den ersten Blick verlockend scheint. Ob diese Erwartungen an die Verlässlichkeit erfüllt werden, ist nicht primär vom Kommunikationskanal abhängig, sondern von den Erfahrungen mit einzelnen Marken und dem individuellen Erfüllungsgrad jedes einzelnen Produkts.»

 

Oder wie BoomGeneration, die Marketingzielgruppe reife Konsumenten, auf ihrer Website festhält: «Anders als jüngere Zielgruppen stützt sich die BoomGeneration auf Werte ab, die sich über einen längeren Zeitraum angesammelt haben. Mehrere Jahrzehnte Konsum-, Medien- und Werbeerfahrung lassen Wertewelten entstehen, an denen Produkte und Dienstleistungen gemessen werden.»

 
Das Erfassen von personenbezogenen Daten wird eingeschränkt
Laut Benno Frick werden die Werbetreiben deshalb aufgrund der Corona-Erfahrungen «verstärkt eine Triage machen und sich fragen: Waren wir auf dem richtigen Weg?» Zumal der Schweizer Werbeexperte einen weiteren wesentlichen (Negativ-)Aspekt der Werbung über Social Media ins Gespräch bringt – die Daten. «In unserer Branche wurde jahrelang von Keynote-Speakern verkündet, Daten seien das Erdöl des 21. Jahrhunderts und diese Daten seien primär online zu generieren. Mittlerweile haben wir die europäische Datenschutz-Grundverordnung, und die Inkraftsetzung des revidierten Schweizer Datenschutzgesetzes steht ebenfalls kurz bevor. Beide schränken das Erfassen von personenbezogenen Daten ein und bringen neue ‘Betroffenenrechte’ (das Recht auf Auskunft, Berichtigung, Einschränkung der Verarbeitung, Herausgabe und Löschung von Personendaten) mit sich.»
 
Zudem wurde die «digitale Trunkenheit» durch ernüchternde Erfahrungen getrübt, wie Benno Frick betont: «Display-Ads werden teilweise von Robotern aufgerufen und nicht von menschlichen Akteuren. Ein Display-Video wird zum vollen Preis verrechnet, sobald der Download auf dem Server gestartet wurde (und nicht wenn das Video beim Betrachter angezeigt wird). Und für das Verrechnen des vollen Preises von Display-Ads reicht eine Mindestbetrachtungsdauer von einer Sekunde (kein Witz!) auf dem Empfängerdisplay.»
 
In der Summe sind die Werbeauftraggeber deshalb gemäss Benno Frick verunsichert. «Marketing will dort sein, wo die Augen sind – und viele Augen sind auf Displays gerichtet. Aber viele dieser Augen blenden Werbung intuitiv aus oder empfinden sie als störend. AdBlocker – mittlerweile um die 40 Prozent – erledigen den Rest.»
 
Benno Frick betont deshalb, dass viele werbende Unternehmen über die Bücher gehen und sich Rechenschaft über ihre Spendings und über die bisher bespielten Kanäle ablegen müssen – «zumal kommerzielle Kommunikation auf ein glaubwürdiges Umfeld angewiesen ist und eben diese Glaubwürdigkeit insbesondere auf Social Media in den letzten 14 Monaten stark gelitten hat.»
 
Der Medienbruch bleibt ein Thema
Und wie sieht der Experte die Rolle von Brückentechnologien zwischen Print und Online? «Der Medienbruch bleibt ein Thema. Augmented Reality ist dabei ein gangbarer Weg. Er setzt jedoch Investitionen voraus, die sich in der Regel nur für hochpreisige Investitionsgüter rechnen, nicht jedoch für Konsumgüter. QR wäre eine preiswerte Alternative, nur bringen es vor allem kleine Unternehmen nicht auf die Reihe, eine saubere Microsite (Landingpage) mit Conversions-Potenzial auf die Beine zu stellen.» Für Benno Frick sind die «scharfen Linien» zwischen den verschiedenen Werbeformen verschwunden. «Die Trennung von Print und Digital gibt es nicht mehr – zumal Digital nur eine Distributionsform ist und per se keine Auskunft über die Güte des Inhalts gibt.»
 
Für welches Medium sich ein Werbetreibender entscheidet, hängt laut Benno Frick stark vom jeweiligen Geschäftsmodell eines Unternehmens (B2B/B2C), von seinen strategischen Zielen und vom Lebenszyklus seines Produktes ab. Für die Neulancierungen von Konsumgütern eignen sich TV und Out of Home nach wie vor sehr gut, für erklärungsbedürftigere Angebote Direct Marketing oder ein Blog.»
 
Niemand will als altmodisch gelten, aber…
Eines ist für ihn jedoch klar: «Wertige Printprodukte sind immer noch ein adäquates Instrument, um Kommunikationsziele zu erreichen. Die Unsicherheiten und das Denken in ‘Distributionsformen (Digital vs. Papier) statt ‘In-Ziel-Inhalten’ auf Seiten der werbenden Unternehmen ist das Problem. Die Vielzahl der bespielbaren Kanäle verleitet viele Unternehmen dazu, überall ein bisschen dabei zu sein. Hier braucht es eine Fokussierung auf die langfristigen Ziele eines Unternehmens und auf die Produktlebenszyklen, auch wenn das im Quartalsabschluss nicht unmittelbar sichtbar wird.»
 
Laut Benno Frick werden Entscheidungen der Werbe-Auftraggeber vielfach von dem beeinflusst, was die Mitbewerber tun – und von dem, was gerade «billig» zu haben ist oder «gehypt» wird. «Niemand will als altmodisch gelten. Aber im Grunde genommen sind viele Auftraggeber verunsichert, was die Wahl der Kanäle angeht, und ihr Blick schweift ab von den langfristigen Zielen die jedes Unternehmen verfolgen muss, um Gewinne zu erwirtschaften und um sich aus innerer Kraft entwickeln zu können.»
 
Das von Benno Frick geführte Agenturnetzwerk ASW ist eine Vereinigung der inhabergeführten Kommunikations-Agenturen in der Schweiz, deren Auftraggeber in erster Linie bodenständige Unternehmer sind, «die keinen Firlefanz wollen, sondern Investitionssicherheit. Genau das bekommen sie bei unseren Agenturen, die einem Wertekodex verpflichtet sind und aus demselben Holz geschnitzt sind wie ihre Auftraggeber.»