29.09.2022

Das Abenteuer Buchherstellung

Sechs österreichische Expert(inn)en aus der gesamten Buch-Wertschöpfungskette diskutierten in einem Round-Table-Gespräch über die aktuelle Situation und Trends in der Buchherstellung. Wir haben die spannendsten Aussagen aus dieser aufschlussreichen Diskussionsrunde für Sie zusammengefasst.
 
Den Fragen stellten sich Franz Schaffer (kaufmännischer Geschäftsführer und Produktionsleiter beim Christian Brandstätter Verlag, Wien), Max Niederschick (Art Director, nw_Publishing GmbH, St. Pölten), Martin Wlacil (Geschäftsführer der Print Alliance, Bad Vöslau), Regina Huhn (Assistentin der Geschäftsführung, Buchbinderei Papyrus GmbH, Wien), Erika Pfaffinger (Vertriebsleitung grafische Papiere, Salzer Papier GmbH, St. Pölten) und Harald Egger (Geschäftsführer, Salzer Papier GmbH, St. Pölten).
«Lesen ist Abenteuer im Kopf. Und als Gestalter hat man dann schon die Möglichkeit, das zu beeinflussen.»
(
Max Niederschick, Art Director bei der nw_Publishing GmbH, die sich auf das Corporate Publishing spezialisiert hat. Dabei setzt man auf hybride Kommunikationsformen, um Print und Digital sinnvoll miteinander zu verbinden.)
 
Warum kann sich das Buch in einer digitalen Welt so gut behaupten?
Max Niederschick: Die Belletristik wird vom digitalen Angebot stärker angegriffen als beispielsweise Kunstbücher oder Ausstellungskataloge. In der Kunst- und Kulturszene finden Ausstellungen nur dann statt, wenn ein gedruckter Katalog vorliegt. Was die digitale Welt auch nicht kann, ist, uns Zeit zu geben. Dazu kommt noch das haptische Erlebnis, und gedruckte Bücher haben einen ganz anderen ideellen Wert. Den Bildschirm drehe ich ab – und weg ist es.
 
Wobei Ihr Verlag hybrid unterwegs ist.
Wir versuchen da intelligente Lösungen zu finden. Manchmal ist es eine Verschränkung, denn das Digitale kann uns in unseren Bestrebungen unterstützen. Wir sind soziale Menschen, die gerne etwas erleben. Und ich glaube, das Erlebnis Buch ist ein ganz spezielles.
 
Franz Schaffer: Die Substitution des Buches durch E-Book findet in gewissen Bereichen nicht statt. Dazu gehören etwa Bildbände genauso wie Kochbücher. Das Bedürfnis, etwas zu besitzen, ist beim Buch gegeben. Wenn ich jemandem ein Buch schenke, dann hat das einen Wert, der über den reinen Warenwert hinausgeht. Man muss schauen, wie man die Vorteile der Digitalisierung clever nutzt – wobei ich die eher im Bereich Vertrieb und Marketing sehe. Da gibt es tolle Möglichkeiten, um Inhalte mit digitalen Angeboten anzureichern.
«Wichtig ist, dass man im Dialog bleibt und sich im Vorfeld abstimmt. Dadurch haben wir auch mit unseren bestehenden Kunden die Krise ganz gut gemeistert.»
(
Erika Pfaffinger, sie leitet den Vertrieb für grafische Papiere bei Salzer Papier, setzt gemeinsam mit Verlagen konkrete Projekte um und bringt sich dabei mit voller Leidenschaft ein.)
Frau Huhn, wie erleben Sie den Wandel?
Für mich als Buchbinderin ist jedes Buch ein Kunstwerk, das ist unser Anspruch. Wenn kein optischer Anreiz vorhanden ist, kann ich mir gleich den Kindle runterladen – und die Geschichte ist erledigt.
 
Herr Egger, was tut sich aus Ihrer Sicht am Buchmarkt?
Unsere Verlagskunden aus Deutschland und Frankreich berichten uns, dass der Markt für Hardcover-Bücher stabil ist. Durch E-Books substituiert werden eher Taschenbücher.
 
Herr Schaffer, wir haben auf der Homepage des Brandstätter Verlags ein Video gefunden mit dem Titel «Vom Abenteuer, ein Buch zu machen». Ist die Buchherstellung für Sie auch ein Abenteuer?
Ja, definitiv. Die Buchherstellung – oder besser gesagt: das Verlagswesen – ist ein vielschichtiges Abenteuer. Und die Buchherstellung selber ist ja nur ein Kapitel des grossen Abenteuers. Das Abenteuer beginnt mit den ersten Gesprächen mit den Autoren, wo man dann merkt, dass die Begeisterung auf den Verleger überspringt und von dort auf das restliche Team. Wir versuchen im Zuge der Buchherstellung, diesen Funken der Begeisterung bis zum Leser weiterzutragen. Das gelingt am besten, wenn von Inhalt über Papier und Ausstattung bis Cover alles zusammenpasst, und dann wird es auch vom Markt belohnt.
«Wir arbeiten schon seit sieben Jahren auf Cradle-to-Cradle-Niveau, und alle unsere Papiere sind jetzt dahingehend zertifiziert.»
(H
arald Egger, Geschäftsführer von der Salzer Papier GmbH, ist stark in der Papierbranche verwurzelt. Zuvor war er Vertriebsvorstand der Europapier-Gruppe.)
Herr Niederschick, was ist denn aus Ihrer Sicht das Spezielle an der Buchherstellung?
Irgendwann hat es diesen abgedroschenen Slogan gegeben: Lesen ist Abenteuer im Kopf – und es ist definitiv so. Als Gestalter hat man dann schon die Möglichkeit, das zu beeinflussen. Man kann auch in einem Buch Regie führen. Das Buch «Das Schiff des Theseus» von J. J. Abrams ist der Versuch, ein Buch ohne digitale Gadgets interaktiv zu gestalten – und das ist gelungen. Also, da passiert wirklich etwas im Kopf. In der digitalen Welt sind es oft nur ein paar Sekunden, und man klickt weg. Das Buch schafft es hingegen, einen zu fesseln. Es muss uns aber gelingen, die Verschränkung mit anderen Medien zu schaffen.
 
Gibt es Trends im Buchdesign und in der Buchherstellung?
Regina Huhn: Ich bin erfreut, dass viele Bücher wieder fadengeheftet werden. Verleger nehmen wieder vermehrt Geld in die Hand und investieren in die Ausstattung. Ich habe mir das jetzt angeschaut. Sogar Notizbücher werden mittlerweile klebegebunden. Aber auch dreiteilige Buchdecken liegen im Trend, was im Prinzip nichts anderes ist wie seinerzeit die Atlanten mit weichen Flexo-Covern. Nur die haben damals nicht die qualitativen Erwartungen erfüllt. Wir haben mit einem dünnen Karton eine Möglichkeit gefunden, eine flexible, qualitativ hochwertige dreiteilige Buchdecke mit einem Falz zu produzieren.
«Ich bin erfreut, dass Verleger wieder vermehrt Geld in die Hand nehmen und in die Ausstattung investieren.»
(
Regina Huhn, Assistentin der Geschäftsführung, Buchbinderei Papyrus GmbH, ist Buchbindemeisterin und versteht sich als Allrounderin.
Martin Wlacil: Auch wir sehen den Trend, aussergewöhnliche Materialien zu verwenden, um sich in der Buchhandlung abzuheben und für die gewünschte Aufmerksamkeit zu sorgen. Im Grunde genommen ist jedes Buch eine Einzelanfertigung. Wenn man ein Buch in die Hand nimmt, spürt man sofort die Qualität. Das zeigt sich beim Aufschlagverhalten und vielen anderen Punkten, die es zu beachten gilt. Dieses Fachwissen macht einen guten Buchbinder aus.
 
Wie erlebt Salzer Papier die Trends im Bereich der Ausstattung?
Harald Egger: Wir haben in der letzten Zeit gesehen, dass bei hochwertigen Büchern sehr oft eine sichtbare Fadenheftung verwendet wird. Unsere Papiere sind aufgrund der konstanten Qualität und Färbung für hochwertige Bücher geradezu prädestiniert.
 
Erika Pfaffinger: Die Färbung unserer Buchpapiere ist absolut gleichbleibend, was für die Lesefreundlichkeit entscheidend ist. Aus den unterschiedlichen Grammaturen und Volumen ergeben sich zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten.
«Die Substitution des Buches durch E-Book findet in gewissen Bereichen nicht statt. Dazu gehören etwa Bildbände genauso wie Kochbücher.
(
Franz Schaffer, Geschäftsführer und Produktionsleiter beim Christian Brandstätter Verlag, ist seit über 30 Jahren in der Verlagsbranche tätig. Der Verlag steht für eine gewisse Opulenz im Bereich Bildband und deckt ein breites Themenspektrum ab.
Frau Huhn, wie kann man sich da als Buchbinderei als Partner gegenüber Verlagen einbringen?
Meine Idealvorstellung ist, dass sich alle Beteiligten der Wertschöpfungskette von Anfang an absprechen. So kann man aus jedem Budget – ganz egal, ob klein oder gross – das Optimum herausholen. So braucht etwa jede Bindung ein bestimmtes Papier. Kompromisse kann man zwar eingehen, aber das kann zulasten der Qualität gehen. Deshalb sollte man den Buchbinder so früh wie möglich einbinden, auch um unnötige Kosten zu vermeiden.
 
Herr Niederschick, können Sie das nachvollziehen?
Ja, total. Ich versuche, schon früh mit allen Beteiligten zu reden. Das ist manchmal etwas schwer, dem Kunden zu vermitteln, weil er sich dann früher festlegen muss. Aber man erspart sich viel Reibereien und vor allem Kosten.
 
Herr Egger, wie geht Salzer Papier das Thema Nachhaltigkeit an?
Für die Papierindustrie war es in den letzten Jahrzehnten wichtig, zu beweisen, dass ökologisch sinnvoll gearbeitet wird. Mit einer Vielzahl von Zertifikaten werden die Nachhaltigkeitsbestrebungen gegenüber den Endverbrauchern dokumentiert. Ein Beispiel dafür ist Cradle-to-Cradle, das gerade in Deutschland gehypt wird. Im letzten Jahr haben wir die Zertifizierung angestrebt, und wir haben gesehen, dass wir nicht einen einzigen Prozess oder Inhaltsstoff ändern mussten. Das bedeutet: Wir arbeiten schon seit sieben Jahren auf Cradle-to-Cradle-Niveau, und alle Papiere sind jetzt dahingehend zertifiziert.
«Wir werden weiter in das Produkt Buch investieren – es geht in Richtung hochwertiger Bücher in Kleinauflagen.»
(
Martin Wlacil, Geschäftsführer der Bogenoffsetdruckerei Print Alliance. Für die Druckerei ist das Buch und hier vor allem Bild- und Kunstbände ein wichtiges und zukunftsträchtiges Produktsegment.)
Was würden Sie sich in der Zusammenarbeit mit Druckern und Buchbindern wünschen?
Max Niederschick: Es muss einen Ansprechpartner geben, der Kreativschaffende betreut und informiert. Ich glaube, dass der persönliche Kontakt enorm wichtig ist. Was ich mir wünschen würde, ist, dass man gegenseitig den Austausch sucht, um technische und wirtschaftliche Fragen im Vorfeld zu klären und neue Möglichkeiten kennenzulernen.
 
Franz Schaffer: Ich sehe das genauso. Für mich ist wichtig, dass man sich direkt von Produktionspartnern konkrete Anregungen holen kann. Das schaffe ich nur, wenn ich auch direkt vor Ort bin und mich inspirieren lasse.
 
Gibt es da Ansätze, wie Druckereien ihre Beratung und den Verkauf verbessern können?
Martin Wlacil: Für uns als Druckerei ist der Beratungsspielraum punkto Papier eher klein. Bei 90 Prozent der Aufträge ist das vorgegeben. Ich denke, hier haben Papierhersteller und -händler den grösseren Hebel, um Kreative in der Papierauswahl zu beraten. Einen Austausch von unserer Seite mit den Kreativen gibt es in Richtung Druckarten, Veredelungen und Bindearten.
 
Auch eine Buchbinderei hätte doch viel zu erzählen?
Regina Huhn: In der Kundenberatung könnten wir sicherlich mehr tun. Aber da fehlen uns leider die personellen Ressourcen. Denn die Kundenberatung passiert ja nicht einfach so nebenbei – das ist ein Fulltime-Job. Grundsätzlich sind wir offen und erstellen gerne Blindbände mit neuen Papieren und schauen gemeinsam mit dem Auftraggeber, was geht und was nicht.
 
Wie wird die Zukunft des Buches ausschauen?
Max Niederschick: Der Trend zu mehr Qualität in der Buchproduktion ist auch Ausdruck der Wertigkeit, die Menschen dem Buch beimessen. Menschen sind bereit, für ein ordentlich gestaltetes und gebundenes Buch auch mehr zu bezahlen.
 
Regina Huhn: Wir haben alle die Einführung des Computers und der E-Books erlebt, doch allen Unkenrufen zum Trotz gibt es das gedruckte Buch immer noch. Allein schon, um mit einem gefüllten Bücherregal eine gewisse Intelligenz zu vermitteln. Die Machart wird aber immer hochwertiger und extravaganter.
 
Und wie sieht Salzer Papier die Entwicklungen am Buchmarkt?
Harald Egger: Für Salzer Papier ist das Buch das wichtigste Standbein. Ich würde mir von Verlagen und Druckern wünschen, dass wir in einen Dialog über Buchformate eintreten. Vielleicht denken wir gemeinsam darüber nach, wie wir effizienter produzieren können und uns in weiterer Folge die Einsparungen teilen. Wobei wir in der Krise gesehen haben, dass plötzlich vieles möglich wurde.
 
Erika Pfaffinger: Natürlich ist eine Standardisierung ein zweischneidiges Schwert. Individualität und Standardisierung widersprechen sich natürlich per se. Oft geht es um 1 oder 2 mm mehr oder weniger, und man kann eine Win-Win-Situation schaffen. Wichtig ist, dass man hier im Dialog bleibt und sich im Vorfeld abstimmt. Dadurch haben wir auch mit unseren bestehenden Kunden die Krise sehr gut gemeistert.