12.03.2021

Das Buch als Touchpoint

Die österreichische Grafikdesignerin Anna Weinzettl entwickelte eine Schrift, die es Blinden und Sehenden ermöglicht, gemeinsam denselben Text zu lesen. Bei der Produktion ihres ersten Buches hatten sie und die Druckerei Estermann einige Herausforderungen zu meistern. Das Resultat ist ein Buch, dessen Gestaltung und technische Umsetzung durchdacht und in aller Perfektion zu Papier gebracht wurde.

Die neue Schrift, die Anna Weinzettl entworfen hat, übersetzt jeden einzelnen Buchstaben der Braille-Schrift in ein gedrucktes Zeichen. Damit können Sehende auch ohne Vorkenntnisse Braille-Texte gemeinsam mit Blinden lesen. Der Grundgedanke war, die Braille-Schrift nahtlos in den Alltag von Betroffenen einzufügen, erklärt die Gestalterin. «Blinde Kinder können mit dieser Schrift die Erfahrung machen, dass jeder, ob Grosseltern, Geschwister oder Freunde, mit ihnen lesen lernen kann. Umgekehrt können auch blinde Eltern so ein Stück weit in die Welt ihrer Kinder eintauchen.»

«Wo ist Luna?»

Die Schrift trägt den Namen «Lucky Dots Braille». Das erste Buch mit dem Titel «Wo ist Luna?» richtet sich an Kinder. Es erzählt die Geschichte von Kater Tim auf seiner Suche nach einer verschwundenen Katze – und das auf eine ganz besondere Weise. Denn nicht nur jedes Schriftzeichen, sondern auch jede Illustration kann sowohl angesehen als auch ertastet werden.

Die Idee zu dieser Schrift hatte Weinzettl schon während des Studiums. Auf dem Weg zur Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien kam sie regelmässig am Sitz des Österreichischen Blindenverbandes vorbei. Zunächst recherchierte sie, ob ein ähnliches Projekt möglicherweise bereits am Laufen sei. Da dies nicht der Fall war, machte sie es zum Thema ihrer Abschlussarbeit.

Der erste Schritt zur Realisierung des Buches erfolgte dann später im Zuge eines Coachings. Dort lernte Weinzettl einen Kollegen aus der Druckbranche kennen, der den Kontakt zu Estermann Druck herstellte. «Als innovatives Unternehmen wollen wir unser Leistungsportfolio ständig weiterentwickeln», erläutert Diplom-Ingenieur Norbert Estermann, sein Interesse an dem Projekt.

Anspruchsvolle Produktion
Bevor es aber so weit war, mussten die Grafikdesignerin und die Druckereien noch einige Extrarunden einlegen. Die erste Herausforderung für Anna Weinzettl lag nicht nur in der Realisierung einer Crowdfunding-Kampagne auf Startnext, um die Druckkosten für die kleine Erstauflage von 500 Büchern aufzutreiben, sondern auch darin, diese Kampagne und die gesamte Kommunikation dafür (Website, Facebook, Newsletter) barrierefrei zu gestalten.

Während der Produktion sei die Abstimmung der Druckbilder der anspruchsvollste Part gewesen, berichtet Weinzettl. «Es war ein langer Prozess, in dem wir die Qualität der Druckbilder und der Braille-Punkte schrittweise erhöht haben. Da es sich um eine Lese- und Lernbuch handelt, war es wichtig, dass die Braille-Punkte möglichst gut tastbar sind.» 


Im Lese- und Lernbuch wird die Geschichte der Suche nach einer verschwundenen Katze erzählt.

Norbert Estermann spricht von einer rund einjährigen Testphase, in der das Unternehmen die Braille-Punkte im Inkjet-Druck mit einem gesundheitlich unbedenklichen UV-Lack auf das Papier aufbrachte. Verschiedene Lacke wurden getestet, die Daten ständig angepasst und die Schrifthöhe optimiert. So sind die Braille-Punkte – sie liegen bei dieser Technik wie kleine Tropfen auf dem Papier – besonders gut tastbar. Damit die Punkte nicht in die Buchseiten hineinschneiden, entschied sich Estermann in weiterer Folge für eine Layflat-Bindung. Zum Einsatz kam ein Kunstdruckkarton (250 g, matt).

Begeisterte Leser
Kaufen kann man das Buch derzeit in Webshop und beim Vertriebspartner VIDEBIS. Bislang kann die Autorin sich über ein ausschliesslich positives Feedback sowohl von blinden als auch von sehenden Lesern über ihr Werk freuen. Gelobt wird vor allem die Qualität in der Gesamtumsetzung. Der österreichische Blindenverband etwa bezeichnete das Buch als «besonderes Projekt». 

Am wichtigsten sind Anna Weinzettls jedoch die zahlreichen Rückmeldungen, die direkt von Lesern kommen und deren Freude mit dem Buch verdeutlichen. Stellvertretend verweist sie auf die Reaktion einer blinden Leserin, die es gemeinsam mit ihrem sehenden Patenkind nutzt: «Wir lieben dieses Buch. Die Qualität ist toll, die Punktschrift ist super. Ist mehr in Planung?»

Diese Frage beantwortet Anna Weinzettl folgendermassen: «Ich bin selbst gespannt, wie es mit dem Projekt weitergeht. Tatsächlich habe ich schon neue Konzepte in der Schublade. Darüber hinaus habe ich ja einen eigenen Verlag gegründet und kann daher jederzeit auch Werke von anderen Autoren umsetzen.»

 

Copyright Fotos: © Anna Weinzettl