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02.12.2021

Kreislaufwirtschaft ist ein Geschäftsmodell für die Druckindustrie

Der deutsche Cradle-to-Cradle-Pionier Michael Braungart fordert ein Umdenken – weg von einem effizienzgetriebenem Wachstum, hin zu einer effektiven Ökologie der Verschwendung. Er ist davon überzeugt: Wenn wir nur das Bestehende optimieren, optimieren wir das Falsche! Was das Richtige sein soll, haben wir im Gespräch mit ihm herauszufinden versucht – und ihn gefragt, warum die Druck- und Verpackungsindustrie so zaghaft auf das Thema aufspringt.

Lässt sich die westliche Konsumgesellschaft auf eine Kreislaufwirtschaft umstellen?

Michael Braungart: Die meisten Dinge konsumieren wir gar nicht, sondern wir nutzen sie nur. Konsum heisst Verbrauch. Wir verbrauchen Lebensmittel, wir verbrauchen Schuhsohlen, Bremsbeläge, Autoreifen. Diese Dinge können so gestaltet werden, dass sie in das biologische System zurückfliessen können. Sachen, die nur genutzt werden, wie etwa ein Computer, eine Waschmaschine, bleiben in der Technosphäre. Es gibt also keinen Abfall mehr, sondern alles wird innerhalb der Technosphäre zum Nährstoff. 

Ist Verzicht aus Ihrer Sicht ein Ansatz, um die Umwelt zu retten, oder braucht es da ganz neue Denkansätze? 

Ein Verzicht stabilisiert nur das Bestehende, weil es sozusagen das Bestehende etwas weniger falsch macht. Aber wenn ich das Falsche perfekt mache, dann ist es nur perfekt falsch. Es geht um Effektivität, nicht um Effizienz.

Es gibt in der Europäischen Union Bestrebungen in Richtung Kreislaufwirtschaft. Geht das aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung?

Die jetzige EU-Regelung geht ursprünglich auf Cradle to Cradle zurück, was dann von der Ellen MacArthur Foundation für die europäischen Abgeordneten aufbereitet wurde. Leider ist man bei 80 Prozent steckengeblieben. Immerhin unterscheidet man in der EU-Regelung zwischen Biosphäre und Technosphäre. Kupfer ist in der Biosphäre giftig, aber in der Technosphäre endlos einsetzbar. Die Kreislaufwirtschaft ist aber nur der Anfang, denn sie ist nur ein lineares Denken im Kreis, und irgendwann bleibe ich bei den bestehenden Werkstoffen hängen. Der Fortschritt und die damit verbunden innovativen Materialien kommen so leider nicht zum Vorschein. 

Ist Cradle to Cradle nur etwas für Idealisten?

Der österreichische Druckunternehmer Ernst Gugler beispielsweise ist sicherlich ein Idealist, aber auch ein guter Geschäftsmann. Er hat begriffen, dass dieselben Druckerzeugnisse im Ausland viel billiger produziert werden können. Deshalb hat er versucht, für sein Unternehmen Alleinstellungsmerkmale zu finden. Ein Druckerzeugnis enthielt in Deutschland vor 50 Jahren etwa 90 giftige Stoffe, die eine Kompostierung oder eine thermische Verwertung ohne Filter ausgeschlossen haben. Im Laufe der Zeit optimierte man nur das Falsche durch Vermeidung und Reduzierung. Heute sind in Europa in einem ganz normalen Druckerzeugnis noch immer 50 giftige Stoffe enthalten. Ernst Gugler hat das erkannt und als Erster weltweit Druckerzeugnisse mit uns entwickelt, die tatsächlich kompostierbar sind.

Dann ist die Kreislaufwirtschaft auch ein Geschäftsmodell?

Etwas, das nur durch die Moral getragen wird und nicht wirtschaftlich ist, wird nicht lange bestehen. Durch logische Innovationen entstehen Papiere, die sich in biologischen Kreisläufen wiederfinden. Papier ist ein Verschleissprodukt, denn es ändert über die Zeit die Faserlänge. Es kann etwa sechs- bis siebenmal recycelt werden, dann ist die Faserlänge zu kurz. Deshalb muss das Papier so gemacht werden, dass es problemlos in die Biosphäre zurückgeführt werden kann. Sparen, verzichten, vermeiden, das ist nur ein Schuldmanagement. Ein Kirschbaum im Frühling spart auch nicht, der reduziert nicht, der vermeidet nicht. Aber all das, was dieser Kirschbaum macht, ist für die anderen Lebewesen nützlich. Das müssen wir erreichen.

Beflügelt die aktuelle Diskussion den Zuspruch zu Cradle to Cradle?

Jede Design-Schule, die etwas auf sich hält, macht inzwischen Cradle to Cradle. Die Designer, die vorher praktisch nur Behübscher waren, sind jetzt wirkliche Gestalter, welche die Idee von Cradle to Cradle von Anfang an in die Produkte einfliessen lassen. Für junge Leute ist die Anerkennung im sozialen Netzwerk wichtiger als Geld. Die brauchen nicht mehr Moral, die brauchen ein leicht übertriebenes Selbstwertgefühl. Wir haben ihnen immer gesagt, wie toll und wunderbar sie sind, und jetzt glauben sie es auch. Für sie ist Cradle to Cradle das Konzept ihrer Wahl, da wir den Leuten eben kein schlechtes Gewissen machen. Die ganze Nachhaltigkeitsdebatte macht ja den Kunden zum Feind. Wenn du es nicht kaufst, ist es noch besser. Dann verdient aber der Hersteller nie das Geld, um sein Unternehmen neu auszurichten.

An was liegt es, dass die Druck- und Verpackungsindustrie so zaghaft auf das Thema aufspringt? 

Die Unternehmen streiten sich bei Druckaufträgen teilweise um Beträge im Cent-Bereich. Die sind so ausgeblutet, sie haben nicht mehr die Kraft einen anderen Weg einzuschlagen. Wenn Sie am Ertrinken sind, dann überlegen Sie auch nicht, ob Ihre Badehose richtig sitzt. Darüber hinaus ist in der Branche das Beharrungsvermögen stark ausgeprägt. Hier müsste auch die öffentliche Beschaffung ansetzen und den Einkauf steuern. Man denkt immer noch, dass die Kreislaufwirtschaft ein Moralthema sei, statt zu verstehen, dass es die einzig echte Innovationschance für den Westen ist. 

Im Verpackungsbereich wird man ja schwer an Kunststoffen komplett vorbeikommen. Ist Kunststoff per se schlecht, und was halten Sie von Biokunststoffen? 

Es gibt gute Gründe für Kunststoffe, weil sie leichter sind, weil sie bruchsicher sind etc. – aber sicherlich nicht für die Kunststoffe, die wir jetzt verwenden. Das 1,5-Grad-Ziel wird die Welt nicht retten. Es wird nur bedeuten, dass die Welt zwei Generationen später kollabieren wird. Wir müssen es schaffen, dass im Jahr 2100 wieder der Gehalt in der Atmosphäre ist, den es 1900 gegeben hat. Wir werden in zehn Jahren nur noch Kunststoffe verwenden, die aus dem Kohlendioxid der Erdatmosphäre gewonnen werden. Darüber hinaus müssen die Kunststoffe, wenn sie in die Umwelt gelangen, biologisch abbaubar sein. 

Was halten Sie von Digital Watermarks, um das Recycling von Kunststoff zu verbessern? 

Da muss man sich die Fragen stellen: Was ist der richtige Kunststoff? Ich habe zum Beispiel eine Eiscreme-Verpackung entwickelt: Wenn sie gefroren ist, ist es eine Folie und bei Raumtemperatur eine Flüssigkeit. Die Folie kann man wegschmeissen, die baut sich innerhalb von zwei Stunden ab, und sie enthält Samen von seltenen Blumen, sodass ich durch das Wegwerfen die Artenvielfalt unterstütze. Die bestehenden Kunststoffe sind nie für das Recycling entwickelt worden, also sollte man auch das Recycling nicht optimieren. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie sieht der richtige Kunststoff aus? Es gibt natürlich sinnvollerweise eine ganze Reihe von Biokunststoffen. Kunststoffe, die in die Umwelt gelangen, müssen für biologische Systeme geeignet sein. 

Sie wollen die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft in Richtung Qualität bringen. Wie wollen Sie das erreichen?

Wenn ich den Menschen die Existenz abspreche, dann werden sie raffgierig und feindselig. Sie können gar nicht anders und sagen: «Bevor du es nimmst, nehme ich es lieber selber.» Es geht darum, eine Kultur der Grosszügigkeit zu schaffen, was dazu führen soll, dass wir zu einem viel bescheideneren Lebensstil kommen werden. Und zwar nicht deshalb, weil es uns jemand vorschreibt, sondern weil wir uns freuen, dass es den anderen auch gut geht. 

Ein Cradle-to-Cradle-Pionier
Prof. Dr. Michael Braungart ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA, einem internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitut mit Hauptsitz in Hamburg. Er ist Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC) in Charlottesville, Virginia (USA), Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts e.V. (HUI) sowie Leiter von Braungart Consulting in Hamburg. Braungart befasst sich mit Forschung und Beratung für öko-effektive Produkte – also Produkte und Produktionsprozesse in einem Kreislauf, die für Mensch und Natur nützlich sind.


Michael Braungart: «Durch logische Innovationen entstehen Papiere, die sich in biologischen Kreisläufen wiederfinden.»