Mehrmals in den vergangenen Jahren wurde die (Tages- oder Wochen-)Zeitung totgesagt. Natürlich ist die Lektüre der klassischen gedruckten Zeitung seit über einem Jahrzehnt nicht mehr so typisch in unserer Gesellschaft. Print-Rückgänge wurden durch digitale Varianten kompensiert: Demnach hat sich das E-Paper verbreitet.
Die entscheidende Frage ist: Gibt es eine Zukunft für die (gedruckte) Zeitung? Aktuell setzen acht von zehn Deutschen auf die Lektüre der Zeitung. Die Gesamtreichweite der Zeitungen in Deutschland beträgt 79,8 Prozent. Damit lesen heute 56,3 Millionen Personen regelmässig eine gedruckte Ausgabe oder nutzen Zeitungen mindestens wöchentlich digital. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der jüngsten Markt-Media-Studie «best for planning» (b4p) durch die
ZMG Zeitungsmarktforschung Gesellschaft im Auftrag des
Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger auf.
Viele Kombinutzer
Indes liegt die digitale Nutzung sogar leicht vorn. Während 38,2 Millionen der Leserschaft zur gedruckten Ausgabe greifen (Leser pro Ausgabe), nutzen 40 Millionen die Zeitungsangebote über Desktop, Mobile oder Apps (Nutzer pro Woche). Bei der Gesamtreichweite von 79,8 Prozent handelt es sich um einen Nettowert. Hier wird jede Leserin und jeder Leser nur einmal gezählt – egal wie oft oder über welchen Kanal sie/er die Zeitung liest.
Tatsächlich gibt es mittlerweile aber viele Kombinutzer: 38,9 Prozent lesen sowohl eine gedruckte als auch eine digitale Ausgabe ihrer Zeitung. Darüber hinaus gewinnen Zeitungen vor allem bei jungen Zielgruppen über den digitalen Weg neue Interessierte für die Nutzung.
Kanäle sind eine Frage des Alters
Während die Printreichweite bei den 14- bis 29-Jährigen 35,5 Prozent beträgt, liegt die Gesamtreichweite aus Print und Digital in dieser Altersgruppe bei 67,1 Prozent. Von den 30- bis 49-Jährigen lesen 80,7 Prozent mindestens wöchentlich Zeitung (bei einer Printreichweite von 46,6 Prozent), bei den über 50-Jährigen sind es 84,2 Prozent (bei einer Printreichweite von 65,6 Prozent).
Mittlerweile wird die Zeitung von zwei Dritteln der Bevölkerung an jedem Tag der Woche gebraucht – egal ob als gedrucktes Exemplar oder über das Onlineportal. Für die b4p-Studie 2022 wurden 30'810 zufällig ausgewählte Personen befragt. Sie ist repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 14 Jahren.
Spezialisierung ist kein Rettungsanker
Aufgrund der weiteren Digitalisierung wandelte sich die Zeitungsproduktion in den vergangenen Jahren deutlich. Mehrere Zeitungsverlage mussten das Portfolio ihrer Rollenoffset-Druckereien deutlicher in Richtung spezieller Akzidenzen und Werbebeilagen umstellen. Alleine die Spezialisierung auf Sonderformen und Sonderformate (beispielsweise Altarfalze, Booklets, Half Pages) brachte nicht immer die Rettung. Deshalb mussten auch nicht nur in Deutschland selbst zahlreiche Zeitungs-Druckhäuser aufgeben und schliessen.
«Die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, die digitalen Zeitungs-Abos nehmen zu, jedoch rechnet sich das für die Verlage noch nicht wirklich. Vor allem die Distribution der gedruckten Zeitungen ist ein schwieriger Kostenfaktor, allerdings sind die digitalen Zeitungs-Abos billiger», zählt Bettina Knape, Pressesprecherin des
Bundesverbands Druck und Medien, die Vorteile und Nachteile beider Ausgabevarianten auf.
Digitaldruck ist kaum eine Alternative
Solange Werbekunden und Abonnenten bezahlen, ist auch die Zukunft gedruckter Zeitungen gesichert. Offsetdruck-Alternativen wie der Digitaldruck finden womöglich nur für kleine Stückzahlen von «Tageblättern» mit segmentiell aktualisierten redaktionellen Inhalten beispielsweise für Gäste von Urlaubshotel-Restaurants oder Kreuzfahrt-Schiffen ihre Anwendung. Welche Events stehen heute auf der Agenda? Wie wird das Wetter heute? Welche Gastronomie-Offerten gibt es heute Abend?
Klassische gedruckte Zeitungen im Abo-Modell könnten zwar im Digitaldruck personalisiert und auch individualisiert werden. Jedoch aufgrund des erheblichen Distributions- und Kostenaufwandes steht eine Umsetzung stark infrage.
Personalisierung als Zukunftsthema
Optimismus vermittelt eine Befragung, publiziert vom
Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger und von der
Schickler Unternehmensberatung. Danach sieht ein Drittel der Top-Entscheider der Medienbranche bei der Gesamtanzahl der Abonnenten von gedruckten Zeitungen, E-Paper und bezahlpflichtigen Inhalten (Paid Content) bereits aktuell ein Wachstum. Ein weiteres Drittel erwartet dieses Wachstum erst ab dem Jahr 2027.
Speziell die Personalisierung wird von mehr als der Hälfte der Befragten als Thema mit hoher bis sehr hoher Zukunftsrelevanz eingeschätzt, mit steigender Tendenz. Verlagshäuser und Digitalpublisher planen, Personalisierung bei vielen Anwendungsfällen wie Artikelempfehlungen und redaktionellen Newslettern in den nächsten drei Jahren einzuführen.
Verlage erreichen Nutzer jedes Alters
Verlage überzeugen mit ihren Produkten heute nicht nur vornehmlich ältere Generationen, sondern aufgrund ihres breitgefächerten Portfolios auch andere Zielgruppen als gedacht. Danach werden mit dem E-Paper bereits die um die 60-Jährigen, online die Nutzergruppen um die 40 Jahre und mit dem Podcast die 30-Jährigen erreicht. Jedoch ist die Gewinnung der Zielgruppen vor allem von dem (Ausgabe-) Kanal abhängig und nicht von den Inhalten, denn die Inhalte unterscheiden sich oft kaum zwischen den Kanälen.
Datenkompetenz wird in der Medienbranche immer mehr zur Kernkompetenz. Demnach wollen 62 Prozent der Verlage Schlüsselkompetenzen rund um das Thema Datenanalyse intern aufbauen. Derzeit glauben die Befragten, dass in zehn Jahren 78 Prozent der Redakteurinnen und Redakteure hauptsächlich mit dem Fokus auf Digital arbeiten werden.
Experten aus der Zeitungsbranche erwarten momentan, dass in knapp zehn Jahren ein Grossteil des Unternehmensergebnisses von digitalen bzw. Online-Produkten kommen wird. Bereits um das Jahr 2026 herum wird erwartet, dass die Erlöse aus dem digitalen Bereich die Rückgänge der Erlöse aus dem gedruckten Bereich kompensieren werden. Zwischen 2027 und 2032 dürfte ein deutlicher Wechsel von gedruckten hin zu digitalen Produkten erfolgen.
Ihr
Frank Baier,
Chefredakteur «Bindereport»