23.03.2021 / Knud Wassermann

Subway Book Review setzt digitale Denkmäler für Bücher

Der Instagram-Account «Subway Book Review» zeigt einmal mehr, wie Print – in diesem Fall gedruckte Bücher – und Social Media voneinander profitieren. Was 2013 in New York startete, hat mittlerweile 20 Metropolen rund um den Globus erobert, und beleuchtet, was Menschen in der U-Bahn lesen, wobei die Leser und ihre ganz persönliche Geschichte mit dem Buch im Vordergrund stehen.

Bei einer Recherche zum Thema Mediennutzung in Verbindung mit E-Books bin ich zum ersten Mal auf das Phänomen gestossen, dass gedruckte Bücher unter jungen Menschen als identitätsstiftend gesehen werden. Sie wollen mit einem gedruckten Buch unterm Arm ihrer Umgebung vermitteln, womit sie sich gerade beschäftigen und somit auch mit anderen ins Gespräch kommen – denn im E-Book verschwindet der Buchtitel im digitalen Nirwana.

Neulich bin ich auf den Instagram-Account «Subway Book Review» gestossen, in dem Menschen, die mit der U-Bahn fahren und ein Buch lesen, zu Wort kommen. Selbst im Smartphone-Zeitalter begegnet man in der U-Bahn Leuten, die völlig vertieft in ihr Buch sind – wobei sich das nicht auf eine Generation einschränken lässt. Die aus Deutschland stammende und jetzt in New York lebende Uli Beutter Cohen lancierte den Instagram-Account und versucht dort, die Gefühle der Leser einzufangen.

Touchpoint Buch
Wahrscheinlich war es gerade der offene und neugierige Blick, mit dem sie New York für sich entdeckte, der ihr ermöglichte, dieses Phänomen zu erkennen. Sie war fasziniert davon, dass Menschen beim Lesen in der Öffentlichkeit ihre Emotionen preisgeben – und genau diese Momente wollte sie festhalten und die Leser porträtieren. «Ein Buch, das man in der Öffentlichkeit liest, sagt viel über die eigene Identität aus. Über ein Buch zu sprechen, ist ein idealer Ausgangspunkt, um jemanden kennenzulernen.» Deshalb durchstreift Uli Beutter Cohen unermüdlich die Bahnsteige und Waggons der New Yorker U-Bahn – ihre bevorzugte Linie ist die «Q».

2013 postete sie die ersten Interviews auf Instagram, sechs Jahre später hat «Subway Book Review» alleine auf Instagram 132 000 Fans – darunter Stars wie die Schauspielerin Emma Roberts, die Autorin Phoebe Robinson und die Schriftstellerin Elizabeth Gilbert.

Berührende persönlichen Geschichten
Bei «Subway Book Review» geht es natürlich um Bücher – aber in den relativ langen Texten geht es vor allem um die Leser und darum, was das Buch für sie bedeutet. Acht von zehn Personen, die Uli Beutter Cohen anspricht, lassen sich von der Idee begeistern. Was aus diesen Gesprächen hervorgeht, sind einfühlsame Porträts von Lesern, die ihre Bücher in die Kamera halten – begleitet von Rezensionen, Buchempfehlungen und berührenden persönlichen Geschichten. Sie sind damit eine Momentaufnahme, die zeigen, womit sich der Interviewpartner beschäftigt – und genau dafür will Uli Beutter Cohen den Menschen in ihrem Account den notwendigen Platz einräumen.

Die Buchautorin Glynnis MacNicol betont gegenüber dem Magazin «Esquire»: «Jeder New Yorker hat sich in der U-Bahn den Hals verrenkt, um herauszufinden, was jemand gerade liest. Uli Beutter Cohen zapfte diesen intellektuellen Voyeurismus an und schuf daraus diese engagierte Plattform. Ich war begeistert, als ich eines Tages mein Buch entdeckte. Wirklich überraschte mich jedoch, wie die Erwähnung meines Buches den Verkauf ankurbelte.» In der Verlagsszene wird die digitale Mundpropaganda mittlerweile sehr geschätzt, und man hat erkannt, dass man mit «Subway Book Review» vor allem auch jüngere Leser erreicht.

«Subway Book Review» goes global
Mit steigender Beliebtheit wurde «Subway Book Review» zu einer globalen Angelegenheit und weitete seinen Wirkungskreis auf Berlin, Mailand, Sydney, London, Moskau, Mexiko City und Rio de Janeiro aus. Trotz des Erfolgs ist der Account jedoch absolut werbefrei. Uli Beutter Cohen blieb sich hier treu und liess sich nie dazu hinreissen, die Daten zu verkaufen oder den digitalen Raum mit Bannern zuzupflastern. «Wir wollen eine ehrliche und authentische Berichterstattung», versichert Beutter Cohen und daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern. 

In diesem Sinne nahm sie sich auch eine der zentralen Stärken des Buches zum Vorbild. Das Lesen eines gedruckten Buches ist einer der wenigen Momente in der heutigen Zeit, in denen man keine digitalen Spuren hinterlässt. Zudem zwingt die nicht vorhandene Multitasking-Fähigkeit des Buches den Leser zur uneingeschränkten Aufmerksamkeit.


Ihr
Knud Wassermann, 
Chefredakteur «Graphische Revue»