08.10.2019 / Knud Wassermann

Digital ist nicht nachhaltiger als Print – im Gegenteil!

Der Energieverbrauch und die damit verbundenen Treibhausgas-Emissionen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) werden in der breiten Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet. Digital gilt allgemein als «Grün» und auch als Problemlöser, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Doch schon heute entfallen 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs auf das Internet – und bis 2030 sollen es gar 20 Prozent sein. Wir haben uns auf eine Faktensuche begeben.

Es ist sehr erfrischend zu beobachten, dass junge Menschen, allen voran die «Friday for Future»-Bewegung, das Thema Klimawandel an sich reissen und die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dazu auffordern, endlich die entsprechenden Massnahmen einzuleiten, um mindestens die Klimaziele von Paris einzuhalten. In diesem Abkommen wurde festgehalten, dass die Erderwärmung weniger als 1,5 Grad Celsius steigen soll, um so den Klimawandel noch einigermassen in den Griff zu bekommen. 

Erfrischend deshalb, weil man in der allgemeinen Wahrnehmung eher davon ausging, dass sich heranwachsende Generationen hinter Smartphones und Tablets verstecken und kein Interesse für politische und gesellschaftliche Entwicklung aufbringen und auch gar nicht bereit sind, dafür auf die Strasse zu gehen. Weit gefehlt – und das ist gut so!

Quelle: www.nature.com

Ungebremster Hunger nach Energie
In der aktuellen Diskussion sind dann auch die Schuldigen für den Klimawandel schnell ausgemacht – Verkehr, Industrie – und das auch vielfach zu Recht. Ein Bereich, der dabei aber vollkommen ausser Acht gelassen wird, ist die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Was in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich als Lösung zur Vermeidung von CO2-Emissionen angesehen wird, hat in den letzten Jahren einen ungebremsten Hunger nach Energie entwickelt. Der CO2-Fussabdruck der IKT soll aktuell bereits doppelt so hoch sein wie jener der weltweiten Luftfahrindustrie.
 
Der gesamte Bereich der IKT, zu dem Rechenzentren mit ihren riesigen Server-Landschaften, weltumspannenden Netzwerke sowie stationäre und mobile Endgeräte zählen, verbraucht aktuell je nach Statistik bereits bis 10 Prozent (etwa 2000 Terawatt-Stunden/TWh) des weltweiten Stromverbrauchs. Es geistern Prognosen durch das Internet, dass sich der Stromverbrauch der IKT bis zum Jahr 2030 verdoppeln soll. Bei dem jährlichen Wachstum von 7 Prozent ist das durchaus vorstellbar. Damit würden 20 Prozent des gesamten weltweiten Stromverbrauchs auf das Internet und alles, was daran hängt, entfallen.
 
Riesiges Internet-Wachstum
Interessant ist auch ein Blick auf das Wachstum des Datentransfers im Internet. 1987 betrug dieser 2 Terabyte (1012 Bytes). 1997 lag er schon bei 60 Petabyte (1015 Bytes). 2007 stieg er auf 50 Exabyte (1018 Bytes). Und 2017 explodierte er auf 1,1 Zettabyte (1021 Bytes).
 
Vernachlässigbare Klicks…
Wenn Sie beispielsweise eine Suchanfrage bei Google starten, dann verbrauchen Sie in etwa 0,0003 Kilowattstunden. Das scheint eigentlich vernachlässigbar, aber in der Summe aller Anfragen ergibt sich daraus ein immenser Stromverbrauch für den Betrieb der gigantischen Rechenzentren. Deshalb versuchen Amazon und Co. ihre Rechenzentren mindestens teilweise mit erneuerbarer Energie zu betreiben.
 
Treiber des steigenden Energiebedarfs ist vor allem die nach wie vor steigende Zahl an Internetusern. Aktuell haben 4,4 Milliarden Menschen einen Zugang zum Internet. Während ich gerade den Blog geschrieben habe, sind bei Google pro Sekunde 77'000 Anfragen eingetroffen. Der gesamte Datenverkehr im Internet in einer Sekunde beläuft sich auf fast 80'000 GB. Unter www.internetlivestats.com finden Sie interessante Live-Statistiken dazu.

Quelle: www.nature.com

…und ausufernde Datenströme
Auf Streaming-Dienste und hier vor allem Anwendungen wie Videos und Games entfällt mittlerweile der Grossteil des Energieverbrauchs. In einer Sekunde werden 80'000 YouTube-Videos angesehen, und jede Minute werden 400 Stunden weiteres Videomaterial auf YouTube hochgeladen. Stark gestiegen sind auch die bei Netflix verbrachten Stunden – von 266'000 auf 694'000 Stunden pro Minute. Schätzungen zufolge entfallen 80 Prozent des Datenvolumens im Internet auf Streaming-Dienste und davon wiederum ein Drittel auf Erwachseneninhalte.

Mit dem Internet of Things (IoT) werden alle möglichen Geräte, vom Kühlschrank bis zur Druckmaschine, vernetzt, die ständig Informationen austauschen – was sich auch in der Energiebilanz niederschlägt. Laut einer Studie von Gartner wird sich die Anzahl der weltweit vernetzten Geräte von knapp 5 Milliarden (Stand 2015) auf 20 Milliarden im Jahr 2020 vervierfachen. Cisco, weltweiter Marktführer in den Bereichen IT und Netzwerk, spricht sogar von einer Verzehnfachung. Sie alle bilden die Stützen für die Industrie 4.0 – deren Umsetzung auch in der Druckindustrie auf der Tagesordnung steht.

Die Schatzgräber des Internets
Der Trend, IT-Ressourcen aus der Cloud zu beziehen, zieht natürlich auch einen erhöhten Energieverbrauch nach sich. Daten werden heute nicht mehr auf dem eigenen Computer, sondern in zentralen Rechenzentren gespeichert und verarbeitet. Dadurch erhöhte sich das Volumen der übers Web transportierten Daten enorm. Das Einkaufen im Internet hinterlässt natürlich auch seine Spuren und mit dem energieaufwendigen Schürfen von Kryptowährungen wird der Strombedarf weiter angeheizt. 
    
The Shift Project prognostiziert, dass die CO2-Emissionen der IKT bis zum Jahr 2025 auf 8 Prozent ansteigen werden, was dem aktuellen CO2-Ausstoss aller Fahrzeuge entsprechen soll. Ein interessantes Video dazu. Es zeigt, dass der einzelne Klick zwar vernachlässigbar ist, aber in der Summe dann doch ins Gewicht fällt.

Druck- und Papierindustrie: Zahlen ins rechte Licht rücken
Und was haben all diese Zahlen mit der Druckindustrie zu tun? Wenn man sie mit jenen der Druck- und Papierindustrie vergleicht, wird deutlich, dass die IKT zu einem der grössten Stromverbraucher geworden ist und damit auch der CO2-Fussabdruck trotz aller Bemühungen der IKT-Branche in Richtung Nachhaltigkeit nicht kleiner wird. Die Mutmassung, digitale Kommunikation sei per se umweltverträglicher als gedruckte Kommunikation, ist nicht haltbar. Hier sind wir als Papier- und Druckindustrie dazu aufgefordert, die Zahlen ins rechte Licht zu rücken.

So stammen in Nordamerika und Europa über 60 Prozent der Energie für die Papierherstellung aus erneuerbaren Energiequellen. Da ist die IKT-Branche noch weit davon entfernt. Klarerweise muss Papier auch bedruckt und auf den Weg zum Empfänger gebracht werden. Hier gilt die Faustregel: 80 Prozent des CO2-Fussabdrucks von Drucksachen entfällt auf die Papierherstellung, der Rest auf die Herstellung und den Versand. 

Durch die fortschreitende Prozessoptimierung und dem rückläufigen Papierverbrauch verbraucht die Branche über kurz oder lang weniger Strom. In ihrem «International Energy Outlook» für das Jahr 2016 prognostiziert die US-amerikanische Energie-Behörde, dass der Anteil des Energieverbrauchs der Papierindustrie in den OECD-Ländern bis 2040 im Industriesektor von 6 auf rund 4 Prozent zurückgehen wird – das entspricht einem branchenbezogenen Rückgang von 30 Prozent.

Was passiert mit 65 Millionen Tonnen Elektroschrott?
Und dann gibt es noch die Recyclingquote. Hier sind Papier, Karton und Wellpappe mit über 70 Prozent in der Pole-Position – gerade digitaler Schrott ist weit abgeschlagen. Laut Eurostat lag die Sammelquote von Elektroschrott 2016 gerade einmal bei knapp über 40 Prozent. Aktuellere Zahlen liegen leider noch nicht vor. Was damit passiert, ist nicht immer nachvollziehbar. Elektroschrott wird teilweise als Sondermüll exportiert und landet auf Deponien in Entwicklungsländern. 

Schätzungen zufolge werden von den weltweit anfallenden 65 Millionen Tonnen Elektroschott weniger als 16 Prozent recycelt. Wobei das nicht ganz nachvollziehbar ist, denn darin stecken wahre Schätze in Form von Edelmetallen und seltene Erden, die nur darauf warten recycelt zu werden. Papier hingegen durchläuft seit vielen Jahren ein eingespieltes Recyclingsystem. 

Die Mär ist nicht haltbar
Punkto Nachhaltigkeit muss sich die Papier- und Druckindustrie nicht verstecken, auch wenn es in unserem Industriezweig noch einiges zu tun gibt. Die Tatsache, dass Papier aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird, spielt der Branche gerade in der aktuellen Diskussion über die Verwendung von Kunststoffen zusätzlich in die Hände. Genau deshalb ist es auch so wichtig, die Kunden, aber auch die Endverbraucher auf die klimarelevanten Auswirkungen der verschiedenen Kanäle zu informieren. 

Die von der bekannten Umweltschutzorganisation Greenpeace publizierten Zahlen zeichnen ein nicht wirklich allzu positives Bild über die Nachhaltigkeit der IKT-Branche. Die Papier- und Druckindustrie stehen aktuell für 1 Prozent der weltweiten C02-Emissionen (World Resources Institute) die IKT für 10 Prozent. Die Mär, dass Digital per se nachhaltiger ist als Print, ist nicht haltbar.



Ihr
Knud Wassermann
Chefredaktor «Graphische Revue»