21.11.2024 / Knud Wassermann

Blättern statt wischen

Die Angehörigen der Generation Z – aufgewachsen und sozialisiert als Digital Natives – entwickeln sich erstaunlicherweise zu Lesern analoger Printprodukte. Sie schätzen die haptischen Vorzüge von Büchern und Zeitungen, holen sich die Informationen darüber aber auch weiterhin aus den sozialen Medien.

Zur Generation Z zählt man die Menschen, die zwischen 1997 und 2010 geboren wurden, sie sind technikaffin, mit dem Smartphone aufgewachsen und nutzen intensiv die diversen Social-Media-Kanäle. Trotzdem belegen zahlreiche Untersuchungen und Studien sowie die Bücherverkaufszahlen, dass die Gen Z wesentlich mehr Bücher kauft als noch vor einigen Jahren und lieber ein gedrucktes Exemplar als ein E-Book in die Hand nimmt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Praktikabilität der haptischen Medien, Überanstrengung der Augen durch die digitalen Medien, Geruch echter Bücher, «digitale Entgiftung» und vieles mehr.

Buchabsatz gefördert
Unterstützt wird diese Entwicklung aber auch durch Trends, die sich schon seit einiger Zeit in den sozialen Medien manifestieren. Auf der Videoplattform TikTok etwa posten Jugendliche unter dem Hashtag #BookTok Clips mit Buchempfehlungen. Einer Untersuchung von «Measure Protocol» aus dem Jahr 2022 zufolge verbringt die Gen Z deutlich mehr Zeit mit TikTok als mit den anderen Social-Media-Apps. Und tatsächlich wurde der Hashtag #Booktok bereits 130 Milliarden Mal weltweit aufgerufen, berichtete die NZZ im Vorjahr, so würden die Verlage sehr viel Geld machen durch eine Werbung, die sie fast nichts kostet: «Die Verlage, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die großen Buchmessen freuen sich rückhaltlos auf eine Zukunft mit Tiktok.»

Eine im April des Vorjahres in Deutschland eingeführte monatliche Booktok-Bestsellerliste zeigt außerdem, dass das Interesse der Jugendlichen vor allem auf den Genres New Adult und Romance liegt. Tanja Messerli, Präsidentin des Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband SBVV, bestätigt gegenüber der Online-Plattform 20min.ch, dass sich Booktok einerseits klar in den Absatzzahlen bemerkbar mache und andererseits auch positive Auswirkungen auf die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst habe: «Viele dieser Romance-Bücher kommen aus dem englischsprachigen Raum und sind erst später, wenn überhaupt, auf Deutsch verfügbar. Das führt dazu, dass viele Teenager Bücher auf Englisch lesen, was sich natürlich positiv auf ihre Vielsprachigkeit auswirkt.»

Ebenfalls ein aktueller Trend auf TikTok sind Empfehlungen, wieder stärker Bibliotheken zu nutzen. Auch hier geht die Zahl der Aufrufe in die Millionen. Wobei der Gen Z hier nicht allein die Bücherauswahl als Argument genannt wird, hingewiesen wird beispielsweise auch auf die Verfügbarkeit von DVDs, WLAN- und Streamingdiensten oder auf die Möglichkeit des Besuchs von kulturellen Veranstaltungen, die dort stattfinden.

Mental gesund
Zuletzt hat die Generation Z auch noch die Zeitung für sich entdeckt. «Gen Z macht Print wieder groß», titelte im September letzten Jahres das Nachrichtenmagazin Profil einen entsprechenden Bericht und schilderte als Beispiel den Fall der Influencerin Kelsey zu ihrem Geburtstag hat diese ein Abo für die amerikanische Tageszeitung «New York Times» geschenkt bekommen. Einen Tag später erklärte sie in einem Video auf Instagram, die Generation Z müsse dringend die Print-Zeitung zurückholen. Und deshalb würde sie nun jeden Tag ein Video drehen, in dem sie erklärt, was sie Neues durch das Lesen der New York Times gelernt habe. In einem ihrer folgenden Beiträge betonte Kelsey zudem, es wäre wichtig, dass die Gen Z wieder fokussierter Medien konsumieren würde, denn das hätte auch ihrer mentalen Gesundheit gutgetan. Seit sie jeden Morgen mit ihrer New York Times beginnt, fühle sie sich deutlich besser.

Apropos Influencer. Sie sind vor allem auf der Video-Plattform YouTube zu finden und haben dort bereits vor einigen Jahren einen anhaltenden Trend ausgelöst, der auch dem Buchmarkt neue Impulse verleiht. Denn ein eigenes Buch ist für viele YouTuber so etwas wie ein medialer Ritterschlag. Das Angenehme für Verlage dabei ist, die Autoren bringen die potenziellen Käufer in Form von Abonnenten gleich mit.

Dass man jungen Menschen im Internet Bücher empfehlen kann, ohne dabei den eigenen Profit im Fokus zu haben, beweist übrigens die Sängerin Dua Lipa. Sie gründete 2022 die Redaktionsplattform service95.com, die Content, mit einer globalen Perspektive verspricht: «There are brilliant articles from some of the world’s most compelling voices – on everything from style and arts to social justice and politics.» Wesentlicher Teil der Plattform ist der Service95 Book Club, der seinen Mitgliedern jeweils ein Buch des Monats präsentiert, ergänzt mit Diskussionsleitfäden, Autoren-Fragen und Antworten sowie weiterführenden Leselisten, «to bring readers closer to the authors, their inspirations and the worlds they create».

21.11.2024 Knud Wassermann Chefredaktor «Graphische Revue»