08.11.2022 / Marco Erismann

Wow, dieses Buch habe ich produziert!

Auf Umwegen kam der 26-jährige Marco Erismann in die grafische Branche. Nach seiner mit einem Preis abgeschlossenen Berufslehre arbeitet er in der Druckweiterverarbeitung bei der Vogt-Schild Druck AG in Derendingen – am liebsten auf dem Klebebinder Bolero, denn er ist mit den Jahren zu einem eigentlichen Softcover-Fan geworden.
 
Wolltest Du schon immer Printmedienverarbeiter Druckausrüstung und Buchbinderei werden und hast Du gar familiär einen grafischen Hintergrund?, werde ich ab und zu gefragt. Die Antwort ist ein doppeltes Nein. Zwar hatte ich schon in der Jugendzeit ein handwerkliches Flair – schliesslich ist mein Vater Bauspengler, mein Bruder selbstständiger Landschaftsgärtner, und meine Grosseltern waren Bauern. Doch offen gesagt war mein Traumberuf Nummer 1 Fussballprofi, weil Fussball neben Motorsport mein grösstes Hobby ist. Doch wie bei so vielen hat das leider auch bei mir nicht geklappt. Also wandte ich mich – da ich in meinen Jugendjahren schon immer gerne etwas mit Holz gemacht habe – meinem zweiten Traumberuf zu: Zimmermann.
 
In die grafische Branche gerutscht
Mit vollem Elan und topmotiviert begann ich nach der Schulzeit in den beiden solothurnischen Gemeinden Büsserach und Breitenbach sowie einem Zwischenjahr als Landschaftsgärtner meine Lehre. Aber schon nach wenigen Monaten machten mir leider gesundheitliche Probleme einen bösen Strich durch die Rechnung. Nach anderthalb Jahren musste ich wegen der starken Rückenschmerzen die Ausbildung als Zimmermann schweren Herzens abbrechen.
 
Das war für mich keine einfache Zeit. Doch glücklicherweise hat mir die Invalidenversicherung auf mich zugeschnittene Umschulungs-Optionen aufgezeigt – und so bin ich in die grafische Branche gerutscht. Ich durfte in zwei Abteilungen schnuppern: in der Druckerei und in der Buchbinderei. Die Ausbildung zum Drucktechnologen hat mich nicht so stark fasziniert, weil sie – ohne meinen Berufskollegen an den Druckmaschinen zu nahe treten zu wollen – in meinen Augen zu wenig Abwechslung bietet. Die Weiterverarbeitung hingegen fand ich auf Anhieb viel kurzweiliger und spannender, weil verschiedene Prozesse damit verbinden sind: Schneiden, Falzen, Zusammentragen, Heften und Binden.
 
Es war die richtige Entscheidung
Ich hatte danach das Glück, im Bürgerspital Basel, genauer bei dessen Tochterunternehmen BSB Medien, ein Partner für Druck und digitale Medienproduktion, das zweijährige Eidgenössische Berufsattest (EBA) als Buchbinder machen zu können. Wir verfügten dort über mehrere interessante Anlagen wie eine Zusammentrag-, Schneid- und Falz-/Stanzmaschine sowie einen kleinen Hand-Klebebinder.
 
Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine fasziniert mich in meinem Beruf immer wieder aufs Neue. Diese Faszination wirkte sich schon während meiner EBA-Zeit auch auf meine Motivation aus – und beflügelte mich, bei der Abschlussprüfung ein gutes Resultat zu erzielen. Prompt schloss ich meine «Anlehre» in der Beschäftigungswerkstätte des Bürgerspitals Basel als Jahrgangsbester ab. Das erfüllte mich zum einen zugegebenermassen mit Stolz und war zum andern die Bestätigung, dass ich beruflich den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
 
Und es motivierte mich, diesen Weg weiterzugehen – mit einer «richtigen» Berufslehre als Printmedienverarbeiter Druckausrüstung und Buchbinderei mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis EFZ. Zwar bedeutete das nochmals drei Jahre Ausbildung. Doch ich habe dabei viel gelernt und sage heute ohne Wenn und Aber: Es war die richtige Entscheidung.
 
Mir gefallen hochwertige Bücher und Broschüren
Allerdings hatte ich mit meinem ersten Lehrbetrieb in der Nähe meines Wohnorts Pech, ging dieser doch nur einen Monat nach meinem Start Konkurs. Ich liess mich aber auch durch diesen Rückschlag nicht aus der Bahn werfen und machte mich Ende 2019 auf die Suche nach Alternativen. Von den zwei Betrieben, die ich mir näher angeschaut habe, stach mir die Vogt-Schild Druck AG in Derendingen wegen ihres modernen Maschinenparks sofort ins Auge. Obwohl ich einen 50-minütigen Arbeitsweg habe, war für mich klar: Hier wollte ich arbeiten – und ab 1. Januar 2020 hatte ich einen Lehrlingsvertrag mit Vogt-Schild.
 
Von Anfang an hat mir die Arbeit am Müller Martini-Klebebinder Bolero am besten gefallen. Erstens hatte ich Grundkenntnisse von meiner EBA-Zeit. Zweitens sind bei der Softcover-Produktion die Prozesse – Zusammentragen, Leimauftrag, Fräskontrolle, Qualitätsüberwachung – komplex und anspruchsvoll. Sie erfordern einiges Fachwissen und höchste Konzentration. Und drittens gefallen mir hochwertige Bücher und Broschüren. Oft nehme ich still und leise ein Endprodukt in die Hände und sage zu mir: Wow, das habe ich produziert!
 
Preisträger bei der Lehrabschlussprüfung
Einen grossen Anteil daran, dass ich zum Klebebinde-Fan geworden bin, hat Damir Milicevic. Er war mein Fachlehrer an der Schule für Gestaltung in Bern, die ich berufsbegleitend besuchte, und begeisterte mich in vielen Gesprächen für das Thema Softcover. Es war dies ein perfektes Beispiel für ein optimales Zusammenspiel zwischen Praxis und Berufsschule.
 
Weil mir meine Arbeit so gut gefällt und ich mir immer hohe Ziele setze, wollte ich meine Lehre unbedingt mit einer guten Note abschliessen. Das ist mir denn auch gelungen. Ich landete im vergangenen Sommer in Bern bei den Preisträgern in der Kategorie Printmedienverarbeiter Druckausrüstung und Buchbinderei auf dem 2. Platz. Klar will man immer Erster sein. Aber ich habe mich auch über Rang 2 und die 250 Franken in Form von Reisegutscheinen gefreut. Ich betrachte dies auch als Anerkennung für mein Interesse an meinem Beruf, denn ohne dieses schafft man keinen so guten Abschluss.
 
Mir gefällt die Abwechslung bei den Arbeitszeiten
Natürlich habe ich mich gefreut, dass ich nach Abschluss der Lehrzeit bei der Vogt-Schild Druck AG einen Arbeitsvertrag als Druckweiterverarbeiter bekommen habe. Dass ich unbedingt bleiben wollte, hat mehrere Gründe. Mir gefällt meine Arbeit und der hohe Automatisierungsgrad unseres Unternehmens, in dem ausserdem eine familiäre Atmosphäre herrscht. Zudem arbeite ich gerne Schicht – sei es von 5.50 bis 14.00, von 13.50 bis 22.00 oder von 21.50 bis 6.00 Uhr. Mir gefällt die Abwechslung bei den Arbeitszeiten, weil ich nicht gerne immer den gleichen Alltagstrott habe.
 
Klar habe ich Pläne für die Zukunft. Einen getakteten Karriereplan habe ich aber nicht – da muss man flexibel und offen bleiben. Zuerst möchte ich mal weiter Berufserfahrung sammeln. Doch ich möchte in meinem Beruf eines Tages weiterkommen. Ziele sind die Höhere Fachschule und Berufsbildner, um meine Fähigkeiten an andere weiterzuvermitteln. Wo ich in zehn Jahren stehen werde, ist schwer zu sagen. Berufliche Sorgen mache ich mir jedenfalls keine. Denn in der grafischen Branche sind gute Fachkräfte immer gesucht. Lustigerweise ist das in meinem Kollegenkreis jedoch nicht so bekannt. Denn spreche ich mit Freunden über meinen Beruf, muss ich ihnen diesen immer ausführlich erklären – und es springen mir viele Fragezeichen entgegen.
 
Der Lerneffekt ist ab Papier viel grösser
Ebenso sicher bin ich mir, dass Print eine Zukunft hat. Denn wer den ganzen Tag am Computer arbeitet, will abends nicht auch noch auf dem Tablet lesen, sondern möchte etwas Haptisches in den Händen haben und liest deshalb lieber aus einem Buch. Auch in der Werbung werden Printprodukte einen hohen Stellenwert behalten, weil elektronische Reklame meistens sofort weggeklickt wird.
 
Auch für mich persönlich ist unvorstellbar, nicht mehr ab Papier zu lesen. Da meine Mutter in der Frühzustellung von Zeitungen arbeitet, haben wir oft Zeitungen zu Hause, und ich lese diese gerne. Welchen Vorteil Print hat, erlebte ich auch bei meiner Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung. Der Lerneffekt ist ab Papier viel grösser als ab einem digitalen Gerät. Man kann Anmerkungen anbringen, mit Leuchtstift wichtige Textstellen markieren und hat keine Ablenkung wie bei einem Tablet. Ich bin deshalb überzeugt, dass gedruckte Bücher auch als Schulmittel wichtig bleiben.
 
In diesem Video auf dem grössten Schweizer Lehrstellenportal yousty erzählt Marco Erismann (auf Schweizerdeutsch), was ihn an seinem Beruf als Printmedienverarbeiter Druckausrüstung und Buchbinderei so gut gefällt.
 
Auch im Video über seinen Arbeitgeber Vogt-Schild Druck AG, das 2021 im Rahmen der Solothurner Industrienacht gedreht wurde, hatte Marco Erismann einen Auftritt (Zeit: 5.43 bis 6:06).
 
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