15.11.2022 / Knud Wassermann

Zeitschriften sind Trend-Follower

Wenn sich ein Trend manifestiert, kommen meistens eine oder mehrere Zeitschriften auf den Markt, die das Thema in allen Facetten aufgreifen und auslösen. Eine Entwicklung, die in den Jahren immer mehr an Fahrt aufgenommen hat und sich auch während der Corona-Pandemie bestätigt hat.
 
Zielgruppen werden permanent kleinteiliger, und genau dafür braucht die Werbewirtschaft entsprechende Kommunikationskanäle. Gedruckte Magazine spielen dabei immer noch eine wichtige Rolle. Obwohl die Auflagen von Publikums- und Fachzeitschriften kontinuierlich zurückgegangen sind, ist die Zahl der Titel deutlich angestiegen. In Deutschland etwa hat der Markt für Publikumszeitschriften in den letzten Jahren eine sehr dynamische Entwicklung erlebt.
 
Klar sind auch Titel vom Markt wieder verschwunden. Doch beim Vergleich der Zahlen von 1997 mit denjenigen von 2020 ergibt sich ein stattliches Plus von fast 300 neuen Titeln. Insgesamt sind im Jahr 2020 1335 Publikumszeitschriften erschienen. Damit hat sich das Angebot deutlich individualisiert, spezialisiert – bis in die kleinste Nische sind viele selbstständige Verlage entstanden.
 
Problem Papierkrise
Allerdings betonte Philipp Welte, Vizepräsident des Medienverbandes der freien Presse (vormals VDZ) und Mitglied des Burda-Vorstandes, Ende Juni im Rahmen des European Publishing Congress in Wien: «Viele Verlage wissen bis heute nicht, auf welchem Papier sie im dritten oder vierten Quartal ihre Zeitschriften drucken sollen.» Bereits im ersten Jahr der Corona-Krise seien die Anzeigenerlöse über das Jahr um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Die aktuelle politische Situation hat den Glauben an eine rasche Erholung des Werbemarktes, die Anfang des Jahres noch bestand, jäh platzen lassen.
 
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Vertriebserlöse für die Verlage immer wichtiger werden. «Wenn Menschen in hoher Frequenz und nachhaltig Zeitschriften kaufen, dann zeigt das ihre Relevanz, und das wird auch dem Anzeigenmarkt nicht dauerhaft verborgen bleiben», so Philipp Welte, der weiter ausführt: «Die Qualität und Resonanz auf unsere Zeitschriften definieren die Relevanz in der Vermarktung von Werbeflächen.»
 
Die eigenen vier Wände
Nachdem der Trend «Zurück zur Natur» und das damit verbundene Landleben in vielen Magazinen abgefeiert worden waren, brachte die Corona-Pandemie ihre eigenen Trends am Zeitschriftenmarkt hervor. Der Lockdown rückte die eigenen vier Wände und dort besonders die Küche in den Mittelpunkt. Da Restaurants vielerorts monatelang geschlossen waren, suchten Menschen eine Inspiration und fanden sie in Zeitschriften wie «Essen & Trinken» oder «Einfach hausgemacht». Die Zuwachsraten beider Titel lagen im ersten Quartal 2021 bei weit über 20 Prozent.
 
Kreativität ausleben
Die zusätzlichen Kalorien mussten natürlich auch wieder wegtrainiert werden – und so suchten vielen Menschen nach sportlichen Disziplinen, die sich trotz Abstandsregeln problemlos in den Alltag integrieren lassen. Fahrradfahren wurde gerade in Städten zur maskenfreien Alternative zum öffentlichen Nahverkehr. Nicht verwunderlich, dass einschlägige Titel wie «Mountainbike, Bike und Roadbike» ihre Auflagen in die Höhe treiben konnten.
 
Den höchsten absoluten Zuwachs unter den sportaffinen Magazinen erzielte jedoch die «Yacht», der 14-täglich erscheinende Klassiker für Anhänger des Segelsports. Gefragt waren aber auch Titel, die die Kinder im Homeschooling begleiten und vor allem beschäftigen. Das war schon vor der Pandemie ein zentrales Thema für Eltern und wird es auch nach der Gesundheitskrise sein, dass Kinder ihre Kreativität ausleben und nicht den ganzen Tag vor dem Handy oder der Konsole sitzen.
 
Print steht für «Deep Reading»
Der Aktienmarkt ist durch die Gesundheitskrise und die politische Entwicklung einer starken Volatilität ausgesetzt, was mit grossen Gewinnchancen und Risiken verbunden ist. Zwischen 2019 und 2021 ist auch die Anzahl der Aktionäre in Deutschland sprunghaft angestiegen. Davon haben Börsentitel und Finanzmagazine mit zweistelligen Wachstumsraten profitiert. Ihren Informationsbedarf befriedigen die Anleger zum Grossteil im Internet, wo viele auch ihre Depots selbst verwalten.
 
Doch «Geldleute lesen genauer, sie wissen, welcher Schaden aus flüchtiger Lektüre entstehen kann», meinte schon Bertolt Brecht. Und Print steht nun einmal für «Deep Reading». Interessanterweise konnten auch klassische Wirtschaftsmagazine die Printauflage steigern.
 
Vertrauensindex für Print gestiegen
Die Erkenntnis, dass gedruckte Medien allgemein als vertrauenswürdige Quellen gesehen werden, ist nichts Neues. Doch während der Pandemie, in der mittels «Fake News» die wildesten Räubergeschichten konstruiert wurden, hat der Vertrauensindex von Print neuerlich zugelegt. Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber es gibt nach wie Leuchttürme, die den investigativen und faktenbasierten Journalismus hochhalten.
 
Und dann kommt noch das Design ins Spiel. Ein Layout, das den Inhalt gekonnt in Szene setzt, und hochwertige Materialien schaffen ein stimmiges und vor allem seriöses Umfeld, in dem auch Unternehmen gerne ihre Werbung platzieren. Print ist somit wertig, nachhaltig und individuell – und ist auch psychologisch gerade durch die haptische Dimension im Vorteil gegenüber digitalen Kanälen. Wobei man sich nichts vormachen sollte: Digitale Ausgaben von Zeitschriften finden auch verstärkt ihre Leser(innen). Besonders erfolgreich sind Verlage, denen es gelingt, sowohl Print als auch Digital zu bespielen.
 
Ein attraktives Werbeumfeld
Je zugespitzter die Zielgruppe ist, desto wirkungsvoller ist Werbung. Aber auch die Reichweite gilt als wichtige Kennzahl für die Werbebranche, und somit sind Magazine nach wie vor ein wichtiger Faktor im Medienmix. Bei vielen Zeitschriften steigt trotz sinkender Printauflage aufgrund der stärkeren digitalen Verbreitung die Gesamtreichweite. Interessant ist auch zu sehen, dass sich die digitale und die analoge Leserschaft nur zu einem geringen Teil überschneiden.
 
Daraus erklärt sich auch, dass Unternehmen eine 360-Grad-Marken- und -Medienstrategie verfolgen. Neben der gedruckten Zeitschrift werden die Konsumenten mit Online-Auftritten, Podcasts und in den sozialen Medien umworben. Gedruckte Zeitschriften bleiben dabei aber der emotionale und vertrauensstiftende Anker.
 
Ihr
Knud Wassermann,
Chefredakteur «Graphische Revue»
 
15.11.2022 Knud Wassermann Chefredaktor «Graphische Revue»