21.02.2023 / Ulrike Vettermann

Das Buch ist old school, kann aber sehr modern sein

Im vergangenen November gewann die Buchbinderei Schaumann GmbH aus dem deutschen Darmstadt bei den Druck & Medien Awards in Berlin die Goldmedaille in der Kategorie «Weiterverarbeiter des Jahres». In einem Gast-Blog schildert die 55-jährige Geschäftsführerin Ulrike Vettermann, was der Award für ihr Familienunternehmen bedeutet, warum sie für attraktive Bücher eine rosige Zukunft sieht und wie sie in die grafische Branche hineingerutscht ist.
 
Der 10. November 2022 war ein spezieller Abend – für mich, meinen Mann, unser Unternehmen und unsere Mitarbeitenden. Gespannt warteten Reiner und ich an der Gala der Druck & Medien Awards im Grand Hyatt Hotel in Berlin auf die Preisverkündigung in der Kategorie «Weiterverarbeiter des Jahres», während unsere Mitarbeitenden 600 Kilometer entfernt in einer Art «Company Viewing» am Handy mitfieberten. Unsere Freude war unbeschreiblich, als die Moderatorin Laura Wontorra am Mikrofon verkündete, dass wir die Goldmedaille gewonnen hatten. Umgehend schickten wir eine WhatsApp-Nachricht in unseren Betrieb nach Darmstadt, wo es ebenfalls einen lauten Jubelschrei gab.
 
Ein wichtiger Werbeträger
Ausgezeichnet wurden wir für ein Buch mit einer LED-Pappendecke und eingebautem Schalter. Daneben haben wir für den Print Medien Award 2022 zwei weitere Bücher eingereicht. Für eines davon bekamen wir Silber für den Wow-Effekt – wissen aber kurioserweise nicht für welches…
 
Wir haben zwar in früheren Jahren schon den einen oder anderen Print Star gewonnen. Der Druck & Medien Award überragt jedoch alles. Denn erstens handelt es sich quasi um die Oscar-Verleihung der grafischen Branche in Deutschland. Und zweitens ging es explizit um Weiterverarbeitung. Es ist dies der Lohn für unsere langjährige Arbeit. Denn exklusiv ausgestattete und veredelte Bücher – beispielsweise mit Leinen und Prägungen – sind unser Markenzeichen. Insofern hat dieser Award für uns keineswegs nur symbolischen Charakter, sondern er ist für uns ein wichtiger Werbeträger und zweifellos förderlich bei der Akquise neuer Kunden. Die Branche ist noch mehr auf uns aufmerksam geworden und sieht, dass wir etwas Besonderes machen.
 
Ein Buch ist mehr als «nur» Belletristik
In unserem Sitzungsraum finden Sie in grossen Buchstaben das Hausmotto: «Es ist nicht nur unser Kopf, der gefüttert werden will – auch unsere Augen und Hände verlangen nach Streicheleinheiten.» Ein interessantes, attraktives Buch muss schön gestaltet und auf schönem Papier gedruckt sein. Es muss Freude machen, man kann es riechen, in die Hände nehmen und entspannt anschauen. Das Buch ist old school, kann aber sehr modern sein.
 
Added Values sind gerade bei Büchern enorm wichtig, um den Kampf um die Leser zu gewinnen und sich von elektronischem Lesen abzuheben. Wir haben schon die verrücktesten Sachen gemacht – neben dem LED-Buch auch eine Buchdecke aus Cerankochfeld oder Stoffmuster zwischen gedruckten Seiten. Ein Buch ist eben mehr als «nur» Belletristik, und wir sorgen dafür, dass Print attraktiv bleibt.
 
Ich selber lese nur Mails und tagesschau.de elektronisch – alles andere ab Print. Und ich laufe an keiner Buchhandlung vorbei, ohne reinzugehen. Klar werden es gedruckte Tageszeitungen und Schulbücher auf Dauer schwer haben, sich zu behaupten. Attraktive Bücher jedoch werden bleiben. Das Gefühl dafür kommt sogar wieder mehr.
 
Die Weiterverarbeitung wird immer noch unterschätzt
Die Ideen für die bei uns produzierten besonderen Bücher stammen oft von Agenturen. Mit ihnen setzen wir uns dann gemeinsam an den Tisch. Für diesen Kreativprozess braucht man Zeit. Allerdings hat der Zeitdruck – auch für spezielle Produkte – in jüngerer Zeit zugenommen, und wir werden leider oft (zu) spät involviert. Die Weiterverarbeitung wird immer noch unterschätzt, obwohl es laufend neue Herausforderungen gibt. Dabei gehören Druck und Weiterverarbeitung untrennbar zusammen. Deshalb machen wir regelmässig Inhouse- und Online-Schulungen für Agenturen. Aber es ist schwierig, an diese heranzukommen. Premiumdruckereien sind nicht das Problem – andere sind jedoch deutlich beratungsresistenter.
 
Schliesslich muss das Buch ja (wenigstens teilweise) maschinell produzierbar sein. Ich denke das beispielsweise an ein Griff-Buch. Das Loch für den Griff haben wir mit Wasserstrahlen gemacht, weil Stanzen (hinterlässt Fasern) oder Lasern (da sieht man Brandspuren) keine Optionen waren.
 
Die maschinelle Umsetzung darf man nicht zuletzt mit Blick auf die Finanzen – nie aus den Augen verlieren. Deshalb benötigen wir vielseitige Anlagen. Die vergangenen 20 Jahre waren bezüglich Maschinenbau ein Quantensprung. Ohne überheblich zu wirken, sind wir doch stolz darauf, dafür einige Inputs gegeben zu haben. Allerdings haben wir (noch) keine institutionalisierten Kontakte mit den Maschinenherstellern, da gibts noch Luft nach oben.
 
Ein (frommer) Wunsch an die Maschinenhersteller
So wie wir die Agenturen in unser Boot holen, würden wir es begrüssen, wenn die Maschinenhersteller die Kontakte mit uns intensivieren würden. Als traditionelles Kolbus-Haus setzen wir auf einen Klebebinder KM 610 und eine Buchlinie BF 527 mit Leseband-Einlage-Maschine Ribbon von Müller Martini. Teilweise bauen wir die Maschinen selber auf unsere Bedürfnisse um und tunen sie.
 
Vor allem in Sachen Bedienbarkeit ist viel gemacht worden, aber es ist noch mehr nötig – nicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels, der uns wohl noch lange Zeit begleiten wird. Die Hersteller könnten noch mehr Künstliche Intelligenz einsetzen. Wie wärs beispielsweise, wenn sie jeweils eine 3D-Brille mitliefern würden, die einen Gang durch die Maschine ermöglicht? Wir haben in unserem Betrieb Mitarbeitende aus 16 Nationen. Die können nicht alle eine deutsche oder englische Bedienungsanleitung lesen.
 
KI-Elemente erleichtern nicht nur das Bedienen, sondern sorgen auch dafür, dass unsere Branche für junge Leute attraktiv ist. Es muss geil sein, in einem grafischen Betrieb zu arbeiten. Denn das Schneller/Höher/Weiter von früher ist ausgereizt. Stattdessen sind in unseren Betrieben heute Automatisierung und Roboter angesagt. Das zieht bei jungen Berufstätigen.
 
Spass muss sein
Dass für ein spannendes Buchprojekt die richtigen Leute am Tisch sitzen (wir haben gelernte Buchbinder in unserer Sachbearbeitung, die auch die Grenzen des Machbaren kennen), ist nur ein Faktor. Genauso wichtig ist auch: Man muss Spass haben. Wir legen deshalb grossen Wert auf Kommunikation – nicht nur mit unseren Kunden, sondern auch mit unseren Mitarbeitenden.
 
Unser am 1. April 1963 (wir sind quasi ein April-Scherz) mit vier Mitarbeitenden gegründetes, 2023 sein 60-Jahr-Jubiläum feierndes und aktuell 65 Mitarbeitende in zwei Schichten an fünf Tagen beschäftigendes Unternehmen kommt ursprünglich aus dem Verlagsgeschäft. Lange Zeit machten Verlagsprodukte 90 Prozent unseres Umsatzvolumens aus. Mit der Zeit stellten wir uns breiter auf und verlagerten uns hin zu Druckereien. Ein typisches Produkt sind Geschäftsberichte: Wenn die Unternehmen schon einen drucken lassen (was sie von Gesetzes wegen nicht mehr müssen), dann wollen sie aus Imagegründen einen hochwertigen und auch hochpreisigen, der sich von einem Massenprodukt abhebt.
 
Unsere Kunden – neben Agenturen auch Druckereien, Verlage, Industriekunden und Papeterien – stammen vorwiegend aus den drei deutschsprachigen DACH-Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz, aber auch aus Benelux und Italien. Der restliche ausländische Markt ist während der Corona-Krise leider aus mehreren Gründen eingebrochen.
 

Im vergangenen November gewann die Buchbinderei Schaumann GmbH bei den Druck & Medien Awards in Berlin die Goldmedaille in der Kategorie «Weiterverarbeiter des Jahres». Von links: Hans Leuenberger (Regionaldirektor Deutschland/Schweiz/Direktmärkte Müller Martini), Laura Wontorra (­Moderatorin), Reiner Vettermann (Geschäftsführer Buchbinderei Schaumann), Ulrike Vettermann (Geschäftsführerin Buchbinderei Schaumann), Jens Pfeifer (Vertriebsleiter Buchbinderei Schaumann).
 
Wichtiger als reine Produktionszahlen ist die erzielte Wertschöpfung
Wir fertigen jährlich rund vier Millionen Hardcover und eine Million Softcover – mit Auflagen zwischen 50 und 300’000, in der grossen Menge zwischen 5000 bis 20'000. Wesentlich aussagekräftiger als die reinen Produktionszahlen ist jedoch die erzielte Wertschöpfung. So erlebten beispielsweise hochwertige Notizbücher mit Farbschnitten in den letzten Jahren eine eigentliche Renaissance.
 
Zwar wird uns das laufende Jahr wegen der hohen Strom-, Gas- und Papierpreise wohl nochmals eine Durststrecke bringen. Aber ich sehe insbesondere den Hardcover-Markt positiv. Das Buch wird zur Entschleunigung in unserem Leben wieder bedeutender. Und innovative Unternehmen wie das unsere werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Wenn ich sehe, dass von einst 15 Buchbindereien in Darmstadt unsere als einzige übriggeblieben ist, haben wir wohl nicht alles falsch gemacht.
 
Mit Büchern gross geworden
Nicht nur unser Unternehmen feiert 2023 ein Jubiläum, sondern auch ich persönlich. Denn ich leite den Familienbetrieb seit 25 Jahren in dritter Generation. Dass ich eines Tages an der Spitze der Buchbinderei Schaumann GmbH stehen würde, war jedoch alles andere als klar. Denn mein Kindheitstraum war Opernsängerin. Das hat zwar nicht geklappt, aber ich gehe noch heute gerne mit meinem Mann in die Oper. Ich war in der Jugend eher rebellisch, und mein Vater liess mir stets freie Hand. Allerdings half ich immer gerne in der Firma aus. Das machte mir Spass, und ich verdiente etwas Taschengeld. Insofern bin ich mit Büchern gross geworden…
 
…und schlug auf anderer Ebene einen beruflichen Werdegang ein, in dem ich mit Büchern zu tun hatte. Denn nach der Realschule absolvierte ich während zweier Jahre eine Ausbildung zur Sortimentsbuchhändlerin, arbeitete danach sechs Jahre als Buchhändlerin mit Schwerpunkten Fachbuch und Auslandsgeschäft und machte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) die Eignungsprüfung zur Ausbildnerin für Kaufleute.
 
Judo als Ausgleich
Während dreier weiterer Jahre wirkte ich als Assistentin der Geschäftsführung in einem Softwarehaus für Büro-Einrichtungen, bis mein Vater leider schwer erkrankte. Er hätte mich zwar nie gezwungen, aber er hat sich natürlich gefreut, dass ich als einziges Kind in den Familienbetrieb einstieg. Nach seinem Tod 1998 habe ich zusammen mit meinem Mann Reiner, der schon seit 42 Jahren im Betrieb arbeitet, die Geschäftsführung übernommen. Wir beide ergänzen uns perfekt: ich bin die kaufmännische Seele und für alle BWL-Belange zuständig, Reiner als Buchbindermeister für die Produktion und den Vertrieb. Das Personalwesen machen wir gemeinsam.
 
Dass wir als Ehepaar die Geschäftsleitung unserer Firma bilden, ist – offen gesagt – Segen und Fluch zugleich. Ein grosser Vorteil sind die kurzen Entscheidungswege. Davon profitieren übrigens auch unsere Lieferanten. Wenn wir uns mal für eine Maschine entschieden haben, geht es schnell, bis wir sie in Betrieb nehmen. Nicht immer einfach ist hingegen die Abgrenzung zwischen Beruf und Freizeit, zumal der Druck grösser geworden ist. Eine wichtige Freizeitkomponente ist der Sport. Wir sind beide aktive Judoka und Trainer – mein Mann auch für körperlich und geistig behinderte Menschen.
 
Schon immer ein Flair fürs Digitale
Und dass ich zwischenzeitlich in einem Softwarehaus gearbeitet, habe hilft mir bis heute beim Verstehen der analogen und digitalen Welt. Ich hatte schon immer ein Flair fürs Digitale und war in der Buchhandlung die Erste, die Bestellungen mittels eines Modems vornahm. In unserem Betrieb führte ich schnell mal die EDV ein und wartete viele Jahre unsere Server selber. Ich sorgte auch früh für elektronische Lauftaschen und trieb die Digitalisierung voran. Denn diese ist wichtig, um für unsere analogen Endprodukte Erfolg zu haben.
 
Besonders spannend an meinem Job finde ich es, die Zukunft zu gestalten und Schlechtes in Gutes umzuwandeln. Ich denke da beispielsweise an die schwierige Zeit während der Corona-Pandemie. Worauf ich besonders Wert lege, ist die menschliche Seite – sprich: den Umgang mit unserem Personal. Zu meinen Führungsgrundsätzen gehört, andere Leute so zu behandeln, wie ich selber gerne behandelt werden möchte. Denn als Chefin bin ich nicht etwas Besseres.
 
Es kommt auch viel von unseren Mitarbeitenden
Die Nähe zum Personal ist deshalb ein wesentliches Merkmal unserer Firmenkultur. So geht mein Mann jeden Tag durch den Betrieb und begrüsst die Mitarbeitenden per Handschlag. Und er spielt regelmässig Hallenfussball mit ihnen. Es ist deshalb kein Zufall, dass wir – was die Reaktion auf unseren Award bewiesen hat – eine hohe Identifikation und lange Betriebszugehörigkeiten haben. Und das wirkt sich wiederum in der hohen Qualität der Endprodukte aus.
 
Natürlich muss am Ende des (Arbeits-)Tages auch bei uns die Leistung stimmen. Doch das Vertrauen, das unsere Mitarbeitenden in unseren typischen Familienbetrieb haben, ist eine unserer grossen Stärken. Reiner und ich kennen von fast all unseren Mitarbeitenden die Familien, ihre Probleme, Sorgen und Nöte. Ein typisches Beispiel war das Abschlussfest nach dem firmeninternen Tippspiel zur Fussball-Weltmeisterschaft Ende letzten Jahres. Da hat unser Personal auf eigenen Antrieb einen Zauberer organisiert. Wir geben eben nicht alles vor, es kommt auch viel von unseren Mitarbeitenden.
 
«Sehr geehrte Frau Vettermann, sehr geehrte Herren»
Leider gibt in meinem beruflichen Umfeld dennoch einen keinen Wermutstropfen: Dass es in der grafischen Industrie so wenige Frauen in Führungspositionen hat, finde ich bedauerlich. Allerdings ist dies ein gesellschaftliches Problem und nicht primär ein branchenspezifisches. Ich war lange Zeit gegen Quoten, bin mir mittlerweile aber nicht mehr so sicher, weil die Rahmenbedingungen für Frauen wirklich schwierig sind. Ich selber war als Frau lange Zeit allein auf weiter Flur.
 
Natürlich ist es cool, wenn man auf einer Tagung mit «Sehr geehrte Frau Vettermann, sehr geehrte Herren» begrüsst wird. Aber noch cooler fände ich es, wenn es in unserer Branche mehr Frauen in Führungspositionen hätte. Denn alle können alles, wenn sie wollen.
 
Ihre
Ulrike Vettermann,
Geschäftsführerin Buchbinderei Schaumann GmbH, Darmstadt