24.11.2020 / Richard Hofer

«Wer richtig investiert, hat Erfolg»

37 Jahre lang arbeitete Richard Hofer für Müller Martini – erst als Produktionsleiter in der Werbeabteilung, dann als Verkaufsleiter Schweiz. Ende November geht er mit 63½ Jahren vorzeitig in Pension. In seinem sehr persönlich gefärbten Blog blickt der gelernte Drucker zurück auf sein reicherfülltes Berufsleben in der grafischen Industrie und verrät Ihnen, was er für die dritte Lebensphase noch vorhat.
 
Kameramann, Journalist, Kriminalkommissar – während meiner Kindheit träumte ich von Berufen, für die es damals keine Lehre gab. Einen grafischen Hintergrund hatte ich von meiner Familie her nicht. Obwohl: Dass ich just in dieser Branche landete, hat auch etwas mit meinem Vater zu tun. Denn einer seiner Kollegen in der Musikgesellschaft war Rotationsdrucker und ermunterte mich zu diesem Beruf. Zwar machte ich zuerst eine Schnupperlehre als Buchbinder. Aber Drucker gefiel mir wesentlich besser.
 
Also absolvierte ich eine vierjährige Lehre als Buchdrucker und kam zum ersten Mal mit Müller Martini-Maschinen in Kontakt – einer Grapha-Endlosformular-Druckmaschine und zwei Sammelheftern. Gleich anschliessend machte ich eine zweijährige Zusatzlehre als Offsetdrucker. Beide Ausbildungen schloss ich mit dem Eidgenössischen Fachausweis ab, und beide absolvierte ich in einer renommierten Druckerei in Basel, wo ich nach der Lehrzeit noch während eines Jahres als Offsetdrucker arbeitete.
 
Weil ich schon immer in ein englischsprachiges Land wollte, ging ich 1980 für drei Monate nach England. Während dieser Zeit war ich auch auf der IPEX in Birmingham. Es war dies mein erster Messebesuch, und ich habe natürlich auch beim Müller Martini-Stand vorbeigeschaut. Danach verschlug es mich nach Neuseeland, weil dort in den 80er-Jahren Fachleute für die Druckindustrie gesucht wurden. Damals florierte die grafische Branche in Neuseeland, weil dank Zoll- und Steuererleichterungen viel für den Export (Australien/Singapur) gedruckt wurde.
 
Neuseeland: meine zweite Heimat
Durch ein Luzerner Vermittlungsbüro bekam ich einen Arbeitsvertrag in einer Druckerei in Auckland, der grössten Stadt auf Neuseelands Nordinsel. Es war dies ein etwas veralteter Betrieb mit englischem Management. Später wechselte ich in eine andere Druckerei in Auckland, die von jungen Neuseeländern geführt wurde und viel moderner aufgestellt war. Dort kam ich auch in Kontakt mit dem neuseeländischen Vertreter für Müller Martini- und Heidelberg-Maschinen. Er offerierte mir einen Job als Instruktor, doch ich wollte nach Beendigung meines Arbeitsvertrags lieber auf Reisen gehen. Und so besuchte ich mit zwei Schweizer Kollegen, die ich dort kennengelernt hatte, erst während dreier Monate jeden Winkel Neuseelands. Dabei lernte ich in einem Youth Hostel meine aus dem Zürcher Oberland stammende spätere Frau kennen. Danach reiste ich während dreier weiterer Monate durch die Südsee, Hawaii, die USA und schliesslich auch noch nach England und Paris.
 
Mit Neuseeland fühle ich mich bis heute eng verbunden – ja, es ist quasi meine zweite Heimat geworden. Ich stehe immer noch in Kontakt mit neuseeländischen Freunden und habe das Land seither mehrfach bereist – auch mit meiner Familie. Auch in diesem Jahr war ich mehrere Wochen dort, glücklicherweise kurz vor dem Lockdown. Den neuseeländischen Müller Martini- und Heidelberg-Vertreter traf ich übrigens später wieder mal auf einer drupa, und er erneuerte sein Jobangebot. Aber da hatte ich bereits bei Müller Martini unterschrieben.
 
Ein preisgekröntes Werbevideo
Denn 1983 war ich – nachdem ich nach meiner Rückkehr ein Jahr lang als Offsetdrucker gearbeitet hatte – auf ein Stelleninserat der Müller Martini Marketing AG aufmerksam geworden und wurde in Zofingen Produktionsleiter in der Werbeabteilung. Während zwölf Jahren war ich zuständig für die Produktion aller Werbemittel in Print, Audio, Video und Film.
 
Ich erlebte dies als überaus spannende Zeit, hatte ich doch die Möglichkeit, bei vielen grafischen Betrieben in der ganzen Welt Aufnahmen zu machen und gleichzeitig live zu erleben, welch interessante Endprodukte unsere Kunden herstellen. Denn wir drehten die Videos und machten die Dia-Aufnahmen für Präsentationen jeweils vor Ort. Highlight war zweifellos der Image-Film «Sweet Uncle Harry», bei dem ich als Projektleiter wirkte und den Sie auf YouTube finden. Der Streifen bekam gleich 14 internationale Auszeichnungen und wurde beim renommierten Internationalen Filmfestival in Locarno 1997 als bestes Werbevideo preisgekrönt.
 
Seine Premiere erlebte «Sweet Uncle Harry» 1996 zum 50-Jahr-Firmenjubiläum von Müller Martini. Ein Jahr zuvor wurde ich auf der drupa als neuer Verkaufsleiter Schweiz vorgestellt. Es war für mich der ideale Zeitpunkt für einen Stellenwechsel. Denn in der Werbeabteilung erfolgte zu jener Zeit die Umstellung von Analog auf Digital. Und statt mir den technologischen Generationenwechsel anzutun und mich mit dem Mac und Bildbearbeitung herumzuschlagen, entschied ich mich für ein ganz neues Berufsfeld.
 
Viele spannende Feldtests
Um erfolgreich Investitionsgüter verkaufen zu können, habe ich stets drei goldene Regeln beachtet. Erstens: Man muss ein guter Zuhörer sein. Zweitens: Man muss gut analysieren können. Drittens: Man muss sachlich beraten, um gemeinsam mit dem Kunden ein Projekt entwickeln zu können.
 
Mit den Jahren kannte ich den Schweizer Markt aus dem Effeff. Im Heimatland von Müller Martini hat die grafische Industrie einen grossen Stellenwert. Es ist nach wie vor ein wichtiger Industriezweig, den man nicht unterschätzen darf. Wegen der hohen Löhne ist für die grafischen Betriebe der Schweiz eine besonders hohe Produktivität gefordert. Entsprechend anspruchsvoll sind die Kunden bezüglich automatisierter Anlagen.
 
Wegen der geografischen Nähe zu Müller Martini war es auch immer wieder spannend, wenn meine Kunden Feldtests mit neuentwickelten Maschinen absolvierten. So beispielsweise auch in diesem Jahr die auf Mailings spezialisierte Druckerei Kyburz AG in Dielsdorf bei Zürich mit unserem neuen Sammelhefter Primera PRO. Es faszinierte mich immer wieder, wie bei diesen Pilotprojekten beide Seiten im Sinne einer Optimierung der Maschinen profitierten.
 
Auch in die Weiterverarbeitung investieren
Natürlich wandelte sich die grafische Industrie in der Schweiz während meiner 25-jährigen Tätigkeit als Verkaufsleiter enorm. Zum einen schrumpfte sie als Folge des Strukturwandels (Stichwort digitale Medien) und des grossen Konkurrenzdrucks aus den umliegenden Ländern markant. Zum andern gewannen Stichworte wie Standardisierung, Leistungsfähigkeit und Vollstufigkeit vom PDF bis zum Versand laufend an Bedeutung.
 
Auf Erfolgskurs befinden sich all jene, die zum richtigen Zeitpunkt a) nicht nur in Druckmaschinen, sondern stets auch in die Weiterverarbeitung investiert, b) Nischen besetzt und c) rechtzeitig den Mix zwischen Offset- und Digitaldruck gefunden haben – wie beispielsweise der Fotobuch-Pionier Bubu AG in Mönchaltorf im Kanton Zürich mit der Vorsatzbogenanleger/Klebebinder Vareo/Dreischneider InfiniTrim-Lösung von Müller Martini zur industriellen Inline-Fertigung von Hardcover-Buchblocks in Auflage 1. 
 
So können Schweizer Betriebe – gepaart mit hoher Flexibilität, Top-Qualität, Vollservice und grosser Nähe zu ihren Kunden – auch in einem Hochlohnland bestehen. Und mit diesen Rezepten werden sie trotz des begrenzten Markts auch weiterhin Erfolg haben. Denn gerade die aktuelle Corona-Krise beweist ja, dass gedruckte Qualitätsprodukte als Gegenstück zu den vielen elektronischen Fake-News gefragt sind.
 
Trotzdem bin ich überzeugt, dass der Transformationsprozess noch längst nicht abgeschlossen ist und neue Workflow-Lösungen und eine noch höhere Automatisierung gefordert sind, um händische Eingriffe und damit Manpower zu reduzieren. Wer diese Investitionen vornimmt, wird auch in Zukunft erfolgreich unterwegs sein. Ich bin auch zuversichtlich, dass Print wichtig bleiben wird – auch wenn Druckprodukte mengenmässig nicht mehr den gleichen Stellenwert haben werden wie früher.
 
Kundenkontakt auf Augenhöhe – mit zwei Ausnahmen
Was ich immer geschätzt habe, ist der Kundenkontakt auf Augenhöhe. Nur zweimal ist es mir passiert, dass mich Schweizer Kunden von oben herab behandelt haben – was bei meiner Körpergrösse von 2.01 m ja gar nicht so einfach ist. Als Trost bleibt mir, dass beide Unternehmen von der Bildfläche verschwunden sind.
 
Dass es auch mit Stil (und einer Prise Humor) geht, bewies ein deutscher Kunde, der uns mit typischer Berliner Schnauze zu einer Fotoreportage über PrintRoll mit folgenden Worten in seinem Versandraum empfing: «Eure Anlage läuft wie Eure Schweizer Zurückhaltung.» Was natürlich zurückhaltend-vornehm ausgedrückt war, denn in Tat und Wahrheit hatte der gute Mann veritable Probleme mit unserem Puffersystem.
 
Ob ich in meinem beruflichen Leben alles noch einmal genau gleich machen würde? Eine grosse Frage! Doch eines ist sicher: Vieles würde ich nochmals gleich machen. Ich hatte das Privileg, in einer spannenden Branche zu arbeiten – von meinem erlernten Beruf als Drucker bis zum Verkäufer von Sammelheftern, Klebebindern, Buchlinien und Versandräumen. Deshalb schaue ich mit grosser Zufriedenheit und auch Dankbarkeit auf meine berufliche Karriere zurück. In bester Erinnerung bleiben werden mir insbesondere die vielen interessanten Begegnungen mit unzähligen Kunden – vom Klein- bis zum Grossbetrieb und von der Buchbinderei bis zum Zeitungsverlag.
 
Dabei hielt ich mich immer an den Titel unseres 16-mm-Imagefilms «Im Dienste der Grafischen Industrie». Dieser stammt zwar aus den 1980er-Jahren, doch der Leitspruch gilt für Müller Martini und für mich bis heute – erst recht angesichts der aktuellen Situation wegen Corona.
 
Von «noch schneller» zu «Finishing 4.0» und «Smart Factory»
Dass Müller Martini ein familiengeführtes Unternehmen – wie ich überhaupt die gesamte grafische Branche als grosse Familie wahrnehme – ist, merkte ich tagtäglich an der besonderen Firmenkultur. Die Mitarbeitenden erfahren einen hohen Stellenwert und geniessen grosses Vertrauen. Dazu kommt ein hohes Verantwortungsgefühl der Firmenleitung gegenüber den Mitarbeitenden – gerade in schwierigen Zeiten wie in diesem Corona-Jahr. Ich ging deshalb jeden Morgen motiviert zur Arbeit.
 
Was mich in all den Jahren fasziniert hat, sind die von Müller Martini entwickelten technologischen Neuheiten – zumal die Weiterverarbeitung in den letzten Jahren stets an Bedeutung gewonnen hat. Wir schaffen es immer wieder, der grafischen Industrie neue Ideen aufzuzeigen, damit sie wirtschaftlich hochqualitative Endprodukte fertigen können. Galt früher die Devise «noch schneller, noch höhere Taktzahlen», so lauten die Schlagworte heute als Folge kleinerer Volumen «Finishing 4.0» und «Smart Factory». Wenn mir also eine Maschine als besonders grosser Wurf in Erinnerung geblieben ist, dann ist es unser formatvariabler und hocheffizienter Dreischneider InfiniTrim.
 
Aber auch unser auf der drupa 2004 mit grossem Echo in der Fachwelt als Weltpremiere präsentiertes digitales Buchproduktions-System SigmaLine bleibt mir nachhaltig in Erinnerung. Und natürlich – wie etwa der ProLiner – die Zeitungseinsteck-Systeme für den Versandraum, bei denen mich nicht nur die Mechanik beeindrucken, sondern auch die Steuerungs- und Kontrollsysteme.
 
Richtig traurig war ich in all der Zeit nur einmal: Als Müller Martini 2014 die Produktion formatvariabler Rollenoffset-Druckmaschinen einstellte, blutete mir als gelernter Drucker zugegebenermassen das Herz.
 
Die drupa hat einen hohen Stellenwert
Und natürlich wäre ich im Juni gerne nochmals an die drupa gegangen – es wäre dies meine neunte gewesen. Auch wenn jetzt wegen der Corona-Krise viel von digitalen Messen die Rede ist, messe ich der drupa als Spiegelbild der grafischen Industrie weiterhin einen grossen Stellenwert bei. Gerade bei Schweizer Unternehmen ist sie wegen der Nähe zu Düsseldorf sehr beliebt. Sie alle fahren jeweils nach Düsseldorf – vom Firmeninhaber bis zum Lehrling.
 
Ob die nächste drupa wie geplant im April 2021 stattfinden kann? Da habe ich angesichts der aktuellen Corona-Entwicklung meine Zweifel. Ob ich als Privatperson nochmals hingehen würde, hinge davon ab, ob mir Müller Martini ein Eintrittsticket schenkt. Spass beiseite: Einen Besuch würde ich nicht ausschliessen, um diesen Höhepunkt noch nachholen zu können.
 
Vieles werde ich ab heute vermissen, einiges weniger – wie etwa die zunehmende Tendenz, Excel-Tabellen ausfüllen zu müssen. Und natürlich waren die letzten Monate meines Berufslebens im Zeichen von Corona-Pandemie, Strukturanpassungen und Reorganisationen nicht so lustig. Obwohl: Nur Nachteile hatte diese Zeit auch wieder nicht. Da ich erstmals in meinem Leben mit Kurzarbeit konfrontiert war, konnte ich mich noch besser auf meine Pensionierung einstimmen.
 
Mehr Zeit für die Gemeindepolitik
Dem dritten Lebensabschnitt schaue ich positiv entgegen. Die Zeit vergeht ja so schnell, deshalb werde ich jeden Tag meiner Pension geniessen und habe mehr Zeit für meine Hobbys Blasmusik, Fotografieren und Lesen (natürlich ab Print!). Zudem bin ich als überzeugter Befürworter des Schweizer Politik-Milizsystems an meinem Wohnort als Gemeinderat und Vizegemeindepräsident tätig. Nun kann ich meine Arbeit hierfür gemütlich untertags statt an Abenden und Wochenenden erledigen. Und bestimmt reise ich – wenn Corona vorbei ist – wieder mal nach Neuseeland.
 


Herzlich,
Ihr Richard Hofer, Verkaufsleiter Müller Martini Schweiz