17.09.2019 / Knud Wassermann

Gedruckte Superhelden

Es gibt wahrscheinlich für jeden unter uns Tage in seinem Leben, die man nicht vergisst. Für mich gehört dazu der Tag, als mich mein Grossvater beim Lesen eines Comics ertappte. Er konnte es nicht verstehen, dass man für so ein «Schundheft», wie er es bezeichnete, auch noch sein Taschengeld ausgab. Als pädagogische Massnahme schleppte er mich in eine Buchhandlung und kaufte mir alle «Winnetou»-Bände von Karl-May. Das tat aber der Faszination für Comics keinen Abbruch. Ich achtete einfach besser darauf, dass ich nicht mehr erwischt wurde, und die Bände von Winnetou verstaubten auf ewige Zeiten im Bücherregal.

Comics haben diese Art der öffentlichen Trivialisierung, mein Grossvater war ja kein Einzelfall, längst hinter sich gelassen und sind ein fixer Bestandteil der Literaturszene. Sie sind den Kinderschuhen entwachsen, sprechen nicht nur Kinder und Jugendliche oder ein paar in die Jahre gekommene Nerds an, sondern werden über alle Altersgruppen und Gesellschaftssichten hinweg gekauft, gelesen und gesammelt – und sogar in den Feuilletons der grossen Tageszeitungen werden sie besprochen. Was auch in den Buchhandlungen deutlich wird. Dort sind Comics schon längst keine Randerscheinung mehr, sondern nehmen mittlerweile prominente und vor allem gut frequentierte Verkaufsflächen ein. Das spiegelt sich auch in den Umsatzzahlen wieder, die relativ stabil sind.
 
Comics behaupten sich …
Vor 100 Jahren haben Comics ihren weltweiten Siegeszug angetreten und erfreuen sich nach wie vor grosser Beliebtheit. Heute gibt es eine riesige und vor allem treue Fangemeinde für Comics, Mangas und Graphic Novels. Das Spektrum reicht von Klassikern in Millionenauflagen bis hin zu Creator-owned-Comics, die ohne grosses öffentliches Aufsehen ihre Leser finden. Graphic Novels erschliessen neue Zielgruppen, die dem Genre einen zusätzlichen Schub verleihen.
 

«Wie keine andere Bilderfindung des 20. Jahrhunderts ist Mickey Mouse Teil des Alltags geworden.», konstatiert Daniel Kothenschulte, Kurator und Dozent für Film- und Kunstgeschichte, in seiner Monografie «Walt Disney’s Mickey Mouse» aus dem Taschen Verlag. Auch wenn die Figur aus dem Trickfilm kommt, wurden Generation mit Magazinen oder Taschenbüchern auf Micky Maus eingestimmt und trotz der Digitalisierung lässt sich damit, zumindest in Europa, noch eine nennenswerte Leserschaft gewinnen. Das sind zwar keine Millionenauflagen mehr, aber aktuell stossen die Titel in Deutschland auf ein gesteigertes Interesse. Beim Egmont-Verlag verbucht man das, in einem rückläufigen Printmarkt, als beachtlichen Erfolg.

… auf der ganzen Welt
In Belgien, aber auch in Frankreich, wird die Comics-Kultur seit vielen Jahren hochgehalten. In keinem anderen Land wie Belgien gibt es so viele bekannte Comic-Zeichner und -Autoren. Die Anzahl an Verlagen ist beachtlich, und es gibt sogar Hochschulen, an denen man sich für den Studiengang Comics inskribieren lassen kann. Japan ist bekannt für seine Mangas, auf die fast 40 Prozent aller Veröffentlichung im Verlagswesen entfallen. Nur zum Vergleich: In Deutschland sind es gerademal 2 bis 3 Prozent. Teilweise übersteigen die Gesamtauflagen einzelner Manga-Reihen die Milliardengrenze und machen Japan zum grössten Comic-Markt der Welt. Aufgrund der Beliebtheit werden Mangas sogar für Gebrauchsanweisungen verwendet. 
 

Comics im Buchformat
Zur Stabilität im Comic-Markt tragen auch sogenannte «Graphic Novels» bei. Der Begriff bezeichnet verschiedene Arten von Comics in Buchformat. Die Zeichenstile reichen von experimentellen Designs zu traditionellen Comicformaten. Art Spiegelmans «Maus» gilt bis heute als eine der besten Graphic Novels und wurde sogar mit dem Pulitzer-Preis geehrt.

Während man im anglikanischen Raum unter Graphic Novel eine Art Comic im Buchformat versteht, so wird dieser Begriff im deutschsprachigen Raum eher dazu verwendet, sich qualitativ von Comics abzusetzen und dem Leser zu vermitteln, dass es sich hier um eine etwas anspruchsvollere Kost handelt. Johann Ulrich vom Avant Verlag meinte in einem Gespräch mit dem «Buchreport», dass Graphic Novels hochpreisige, bibliophil gemachte Luxusprodukte seien, die sich immer mehr mit Literatur im klassischen Sinne messen lassen müssen.
 
Wie keine andere Bilderfindung des 20. Jahrhunderts ist Mickey Mouse Teil des Alltags geworden.
konstatiert Daniel Kothenschulte vom Taschen Verlag.

Self-Publishing und Digitalcomics
Losgelöst vom Diktat der grossen Verlage schliessen sich Autoren und Zeichner zusammen und kreieren eigene Comics. Daraus entstehen hervorragende und originelle Titel, die durch ihre Kreativität überzeugen. Angefeuert wird die Erweiterung des Angebotes durch die Möglichkeiten des Self-Publishings, mit dem die Eintrittsbarriere deutlich gesenkt wird. Wen wundert es – Amazon hat dafür bereits vor fünf Jahren mit Kindle Comic Creator eine eigene App für Comic-Zeichner und -Autoren online gestellt, über die sie ihre Comics im Selbstverlag in gedruckter Form unters Volk bringen können. Aber es gibt natürlich auch Comics und Graphic Novels in digitaler Form. So etwa auf der cloudbasierten Vertriebsplattform comiXology.com, über die Amazon über 100'000 Comics vertreibt.



Ihr
Knud Wassermann
Chefredaktor «Graphische Revue»