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26.03.2019 / Martina Reinhardt

Buchbinderei 4.0 – von der Zukunftsmusik zum Zukunftsprojekt

Die «vierte industrielle Revolution» soll es sein. So erklärt die Website des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung den Begriff «Industrie 4.0». «Durch das Internet getrieben, wachsen reale und virtuelle Welt zu einem Internet der Dinge zusammen», heisst es da weiter. Das Projekt Industrie 4.0 soll diesen Prozess unterstützen.

2011 ist der Begriff zum ersten Mal als Zukunftsprojekt aufgekommen. 2013 hat die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften eine Forschungsagenda und Umsetzungsempfehlungen vorgestellt, das Bundesministerium hat entsprechend Fördermassnahmen bereitgestellt. 2019 schreibt die deutsche «Wirtschaftswoche» in einem Blogbeitrag, dass fast ein Drittel der Unternehmen nach wie vor unsicher sind, was Industrie 4.0 eigentlich ist. Das gibt zu denken.

Schaut man genauer hin, dann sind es vor allem die kleineren Betriebe, bei denen das Thema noch kaum eine Rolle spielt. Etwa ein Drittel der Firmen ab einem Umsatz von 100 Millionen Euro sind laut «Wirtschaftswoche» ganz oder teilweise digital vernetzt, bei kleineren Firmen sind es nur 20 Prozent. Zu diesen kleineren Unternehmen gehören in der Regel auch die Betriebe der mittelständisch geprägten Druckindustrie.

Dabei tun sich besonders die einstufigen Betriebe schwer, die entsprechenden Prozesssteuerungen zu implementieren – eine digitale Vernetzung findet maximal in vollstufigen Unternehmen mit dem entsprechenden Anforderungsprofil statt. Buchbinderei 4.0 scheint dagegen Zukunftsmusik zu sein.

«…was ihnen der Drucker auf den Hof stellt»
Woran liegt das? Fragt man die Experten, dann sind die Gründe dafür sind vielfältig: So sind die einstufigen Buchbindereien nur ein Teil – und zwar der letzte Teil – einer komplexen Prozesskette und müssen, wie der Product Manager bei Müller Martini Klebebindesysteme Ronald Reddmann es plastisch formuliert, «das verarbeiten, was ihnen der Drucker auf den Hof stellt.»
Frühzeitige Einbindung oder gar Vernetzung innerhalb der Fertigungskette? Fehlanzeige.

Hinzu kommt, dass es in den Unternehmen selbst oft am notwendigen übergreifenden Wissen über die gesamte Prozesskette hinweg fehlt. Denn wer einen integrierten Workflow aufbauen will, muss auch die vor- und nachgelagerten Prozessschritte kennen. Der Müller Martini Product Manager Workflow Andreas Aplien stellt fest, dass es in der täglichen Praxis oft an Kleinigkeiten krankt, die nicht berücksichtigt wurden, so dass die Anwender eine Integration eher als Hemmschuh denn als Chance empfinden.

Maschinenschnittstellen fehlen
Ein weiterer Punkt ist, dass für einen funktionierenden Datenaustausch eine einheitliche Sprache beziehungsweise einheitliche Datenformate benötigt werden – und Systeme, die in der Lage sind, mit Daten zu arbeiten. Auch hier sind die Buchbindereien wieder mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: Die Anzahl unterschiedlicher, teilweise sehr spezialisierter Systeme von unterschiedlichen Herstellern aus den unterschiedlichsten Generationen lässt sich IT-technisch nur schwer unter einen Hut bringen. Es fehlt an Schnittstellen und den entsprechenden Standards. Das hohe Mass an manuellen Tätigkeiten, die in der Buchbinderei anfallen, lässt sich ebenfalls in keine digitalisierte Struktur pressen.

Wie viel 4.0 muss sein?
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie viel Industrie 4.0 davon in den Buchbindereien wirklich notwendig ist. Wieviel Integration macht Sinn? Was braucht ein Verarbeitungsbetrieb, um weiterhin am Markt erfolgreich zu sein? Und was ist möglich?

Sicherlich geht der Trend auch in der Printproduktion weg von der Masse, also den hohen Auflagen, hin zu mehreren diversifizierten Produktchargen in kleinerer Stückzahl. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine höhere Anzahl kleinerer Jobs, die in den Betrieben abgewickelt – und abgebildet – werden müssen. Solche Auftragsstrukturen erfordern fast zwangsläufig Workflows mit einer hohen Automatisierung und Prozessintegration.

Dazu bietet zum Beispiel Müller Martini einen Touchless-Workflow, der mit der Workflowlösung Connex über die entsprechenden Schnittstellen verfügt und die gesamte Produktpalette von Müller Martini mit den übergeordneten Systemen vernetzen kann. So kann zum Beispiel in der flexiblen Buchproduktion in Auflage 1 ein online bestelltes Buch hochautomatisiert über standardisierte Prozesse on Demand gefertigt werden. Der komplette Buchfertigungsprozess wird so vom Druck über die Blockbildung, das Klebebinden und den individuellen Beschnitt überwacht. In solchen Betrieben – mit Digitaldruck, vollintegrierter Weiterverarbeitung und Schnittstellen in die Logistik ist Industrie 4.0 bereits Realität.

Nischen finden
Für reine Buchbindereien ohne direkte Anbindung an Vorstufe und Druck wird es dagegen schon schwieriger. Hier zählt zu den Zukunftsaufgaben sicherlich zunächst einmal, sich darauf zu konzentrieren, was tatsächlich produziert wird (oder künftig werden soll) und was sich in der Organisations- und Produktionsstruktur verbessern lässt. Es wird darum gehen, seine eigene Nische am Markt zu finden, ein Angebot zu haben, mit dem man sich vom Wettbewerb abheben kann – und dieses gewinnbringend produzieren zu können.

Und es wird auch darum gehen, vorausschauend zu investieren: in flexible Anlagen, mit denen sich schwankende Auflagenhöhen gut abbilden lassen; in leicht zu bedienende Anlagen, um auch das Bedienpersonal flexibler einsetzen zu können; in Anlagen, die 4.0-fähig sind, um für die rasant fortschreitende Entwicklung – auch auf Seiten der Kunden – gerüstet zu sein.

Denn auch wenn sich in einer reinen Buchbinderei keine vollintegrierten Prozesse implementieren lassen, darf das Thema 4.0 bzw. digitale Vernetzung keine Zukunftsmusik bleiben. Es ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wohin die Reise gehen wird und sich Schritt für Schritt darauf vorzubereiten. Jetzt!


Ihre
Martina Reinhardt
Redakteurin Druckweiterverarbeitung
Deutscher Drucker Verlag
26.03.2019 Martina Reinhardt Redakteurin Druckweiterverarbeitung, Deutscher Drucker Verlag